Rom im Oktober. Die Temperaturen sind mild. Man kann noch draußen sitzen und mit ein bisschen Glück die Sonne und römisches Flair genießen. Leider ist dafür praktisch keine Zeit. Von morgens früh bis abends spät wird im UN-Welternährungsausschuss diskutiert und verhandelt. Dieses Jahr habe ich die Verhandlungen zu Agrosprit und zu Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft verfolgt. Dabei ging es insbesondere um das Menschenrecht auf Nahrung, um Politik-Kohärenz und um die Stärkung der Rechte von kleinbäuerlichen Produzenten. Am Freitagabend wurde der Bericht verabschiedet.

Agrosprit und Menschenrechte

Was hat Agrosprit aus Nahrungsmitteln mit dem Menschenrecht auf Nahrung zu tun? Nichts, erklärte die Vertreterin der USA bei den Verhandlungen zu Agrosprit. Dabei haben die USA, genauso wie Australien, Kanada, Argentinien, Brasilien und die EU im Jahr 2004 die freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung in der Welternährungsorganisation (FAO) unisono mit verabschiedet. Wenn es jedoch um ihre Wirtschaftsinteressen geht, weigern sie sich, ihre Politiken, in diesem Fall ihre Agrosprit-Politiken, konsistent mit ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zum Recht auf Nahrung zu gestalten. Selbst die EU, die im Welternährungsausschuss eine starke Befürworterin von Menschenrechten ist, lehnte entsprechende Entscheidungen („actions“)  ab. Dabei hat der Bericht der hochrangigen Expertengruppe (HLPE) belegt, dass Agrosprit die Nahrungsmittelpreise beeinflusst und dass großflächige Investitionen in Agrosprit die Landnutzung in vielen Entwicklungsländern verändern. Die Folge: Mangelernährung und  Landkonflikte nehmen zu, kleinbäuerliche Produzenten werden vertrieben, der Kampf um Wasserressourcen wird verschärft.

19 Stunden Verhandlungsmarathon

Die Entscheidung des UN-Welternährungsausschusses zu Agrosprit wurden bei mehreren Treffen der „Friends of the Rapporteur“ in 19 Stunden vorbereitet. Brasilien hatte extra die Verhandlungsführerin aus Brasilien eingeflogen. Argentinien wartete mit vier Vertretern auf. Für die EU verhandelten Schweden und Estland, unterstützt von Deutschland und Frankreich. Auch die Zivilgesellschaft und die Wirtschaftsvertreter haben im UN-Welternährungsausschuss Mitspracherechte und konnten Verhandlungsvorschläge einbringen. Die Positionen der Zivilgesellschaft wurden am Wochenende vorher beim zivilgesellschaftlichen Forum, an dem mehr als 100 Vertreter/innen teilnahmen, abgestimmt.

Agrosprit-Front lehnt Vorschläge der Zivilgesellschaft ab

Zeitgleiche Diskussionen im Plenum erschwerten teilweise die Teilnahme von kleinen Entwicklungsländer-Delegationen. Zum Ende hin beteiligten sich u.a. Kuwait und Iran als Vertreter des Nahen Ostens sowie Afghanistan. Iran forderte den Stopp der Verhandlungen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Auch der Vorschlag der EU, die Konkurrenz bei Land und Wasser einzubringen, wurde zwar von Iran und Afghanistan unterstützt, aber von der EU am Ende nicht verteidigt. Die progressiven Vorschläge der Zivilgesellschaft zu den Handlungsempfehlungen wurden allesamt von der Agrosprit-Front (EU, USA, Kanada, Australien, Argentinien, Brasilien) abgelehnt. Das heißt: Kein Auslaufen von Agrospritpolitiken, die sich negativ auf die Ernährungssicherheit auswirken, keine menschenrechtlichen Wirkungsanalysen, kein Risikomanagement. Die EU-Vertreter/innen hatten noch nicht einmal das Mandat, Beimischungsquoten, Subventionen und Zölle zu erwähnen.

Statement der Zivilgesellschaft nach der Entscheidung zu Agrosprit

Nachdem die vorbereite Beschlussvorlage der „Friends of the Rapporteur“ vom Plenum des Welternährungsausschusses en bloc ohne Diskussion (!) verabschiedet wurde, intervenierte ein Vertreter der Zivilgesellschaft nach der Verabschiedung des Gesamtberichts. Die Kritik: Die Auswirkungen von Agrosprit auf das Recht auf Nahrung werden nicht angegangen. Politik-Kohärenz wird nicht hergestellt. Die Ansichten betroffener Länder blieben in den „Friends of the Rapporteur“ - Verhandlungen unberücksichtigt. Während des Treffens hatten 80 Organisationen die Delegierten des Welternährungsausschusses in einem offenen Brief aufgefordert, konkrete Maßnahmen gegen die Unterminierung des Rechts auf Nahrung durch Agrosprit zu ergreifen.

Verhandlungen zu Investitionen in kleinbäuerliche Landwirtschaft

Die Verhandlungen zu Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft konnte ich nur teilweise verfolgen, weil sie größtenteils zeitgleich zu Agrosprit stattfanden. Grundlage war auch hier ein Bericht des hochrangigen Expertengremiums. Die Debatte der „Friends of the Rapporteur“ verlief im Gegensatz zu Agrosprit konstruktiv und gut. Die Vorschläge der Zivilgesellschaft stießen nicht auf starken Widerstand. In den Verhandlungen waren insbesondere die EU (koordiniert vom und vertreten durch das BMELV), USA und Australien aktiv, gefolgt von der Schweiz und Afrika. Teilgenommen haben auch Argentinien, Brasilien und Kanada.

Insgesamt ist die Zivilgesellschaft mit den Entscheidungen zu Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft zufrieden. Die zentrale Rolle der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen bei der Ernährungssicherung wurde anerkannt. Ihre Beteiligung bei der (Fort-)Entwicklung von nationalen Visionen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft gilt als unerlässlich. Die Bedeutung lokaler Nahrungsmittelmärkte und öffentlicher Investitionen wurde hervorgehoben. Als besonders wichtig wurde eine verantwortungsvolle Regierungsführung im Bereich Land und andere natürliche Ressourcen erachtet.

Agrar-ökologische Anbauverfahren und Zugang zu Saatgut

Eine besonders intensive Debatte gab es über den Paragrafen 40 (im Endbericht). Der Zivilgesellschaft war es zum einen wichtig, dass agrar-ökologische Anbauverfahren - wie Agroforstsysteme, Gründüngung, Nutzung organischen Düngers, Mischkulturen - im Text Erwähnung finden. Nachdem die Schweiz vorschlug auch die „nachhaltige Intensivierung“ mitaufzunehmen und dies von dem Wirtschaftsvertreter unterstützt wurde, wurden am Ende beide Ansätze im Text erwähnt. Zum anderen ging es um die Frage von Saatgut. Für die Zivilgesellschaft war es wichtig, dass für kleinbäuerliche Produzenten der sichere Zugang zu und die Kontrolle über Saatgut sichergestellt wird. Die „Kontrolle“ war für die EU und die USA nicht tragbar. Am Ende wurde vereinbart, die Fähigkeit von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen zu fördern, Saatgut, das sie brauchen, zu erhalten, züchten, produzieren, konservieren, tauschen, verkaufen und zu nutzen.

Lokale, funktionierende Märkte für kleinbäuerliche Produzenten

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Rolle des Marktes (Paragraf 46 und 47 im Endbericht). Eine längere Diskussion erfolgte über die Bedeutung von Wertschöpfungsketten. Ist es das Ziel, das kleinbäuerliche Produzenten in diese integriert werden? Aus zivilgesellschaftlicher Sicht kommt es vielmehr darauf an, die Beschränkungen von Kleinbauern anzuerkennen und sicherzustellen, dass die Märkte für sie funktionieren. Auch wenn diese Formulierung so nicht aufgegriffen wurde, so konnte doch erreicht werden, dass kleinbäuerliche Produzenten vollwertige Mitglieder in der Wertschöpfungskette ihrer Wahl sind. Politiken, Märkte und Institutionen sollten für sie verbessert werden. Der starke Fokus auf Lebensmittelsicherheitsstandards in Wertschöpfungsketten wurde rausgenommen.

Es ist offensichtlich, dass der Text, wenn er nur von der Zivilgesellschaft geschrieben worden wäre, anders ausgesehen hätte. Gleichwohl hat die konstruktive Diskussion das gegenseitige Verständnis verbessert und gute Entscheidungen ermöglicht.

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