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Bananen mit Schockbild-Anhängern im Stil der Warnhinweise auf Zigarettenpackungen: „Bananenanbau verursacht Krebs.“
Gesundheitsschäden durch Pestizideinsatz ohne Schutzkleidung im Bananenanbau: Ein Beispiel für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette.

Warum die EU jetzt ein Lieferkettengesetz vorlegen muss

12. Oktober 2021

Es ist eines der grundlegenden Ziele der Europäischen Union (EU), zur Beseitigung von Armut und zum Schutz der Menschenrechte weltweit beizutragen. Trotzdem lässt die EU es zu, dass europäische Unternehmen unbehelligt ihre Profite auf Kosten von Menschenleben, Klima und Umwelt einstreichen. Unzählige Medienberichte und Fallstudien der Zivilgesellschaft belegen seit Jahrzehnten krasse Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette von zum Beispiel deutschen und anderen europäischen Unternehmen. Dazu zählen:

Das darf nicht sein. Die EU muss einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, nach dem europäische Unternehmen verpflichtet werden, Menschenrechte in ihrer Lieferkette einzuhalten – ein EU-Lieferkettengesetz.

Was läuft bisher?

Auch wenn einige große Vorreiter-Unternehmen sich auf den Weg gemacht haben und zum Beispiel im Zuge des Oxfam-Supermarktchecks Maßnahmen ergriffen haben, ist noch lange keine grundlegende Änderung der Zustände für Arbeiter*innen in Produktionsländern in Sicht. Um das zu erreichen, werden Gesetze gebraucht, die alle europäischen Unternehmen verpflichten, die Menschenrechte in ihrer Lieferkette zu achten. Das haben Gesetzgeber in Ländern wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden erkannt, und zum Beispiel ein loi de vigilance, ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder das Wet Zorgplicht Kinderarbeid verabschiedet. 

Es gibt doch schon Gesetze. Reicht das nicht?

Alle diese Gesetze weisen jedoch noch große Lücken auf. In Frankreich müssen Unternehmen vor allem vorschriftsmäßige Überwachungspläne erstellen. In Deutschland müsste das Gericht wohl derzeit noch ausländisches Recht anwenden und eine Klage Geschädigter hätte nur dann Erfolg, wenn sie beweisen können, dass sie zum Beispiel gerade durch die mangelnde Überwachung ihrer Fabrik durch kik, den deutschen Textileinkäufer, ihre Angehörigen beim Fabrikbrand in Pakistan verloren haben. Das wird Betroffenen in Pakistan, die keinen Einblick in Geschäftsinterna von deutschen Unternehmen haben, in den allermeisten Fällen unmöglich sein.

Das deutsche Gesetz schließt sogar ausdrücklich eine neue gesetzliche Haftungsgrundlage für Unternehmen im deutschen Recht aus und setzt auf Bußgelder, wenn deutsche Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht für ihre Zulieferer nicht genügen. Die gilt aber grundsätzlich nur für die erste Lieferstufe, also zum Beispiel bei Supermarktketten nur für ihre deutschen Hersteller und Lebensmittelimporteure. Also in den meisten Fällen nicht für die Plantagenbesitzer*innen in Costa Rica und Ecuador, die oftmals auf die prekäre Situation von Migrant*innen setzen, um ihre Bananen und Ananas möglichst billig in Deutschland anbieten zu können. Deutsche Unternehmen brauchen sich um die gesamte Lieferkette einschließlich Zulieferern in Asien, Lateinamerika und Afrika nur dann kümmern, wenn sie über konkrete Fälle aus den Medien oder durch Berichte der Zivilgesellschaft „substantiierte Kenntnis“ erlangt haben.

Und in den Niederlanden geht es vorerst ausschließlich um Kinderarbeit – ohne Frage eines der dringendsten Probleme, allerdings nicht das einzige.

Darüber hinaus droht ein europäischer Flickenteppich, in dem Unternehmen strengen Gesetzen entkommen können oder zumindest Schlupflöcher finden, wenn die EU nicht geschlossen handelt.

Fazit: Wie eine aktuelle Studie zeigt, haben Betroffene von Menschenrechtsverletzungen europäischer Unternehmen kaum eine Chance auf Schadensersatz in der EU – selbst nicht in Fällen von massiver Umweltzerstörung oder schweren Arbeitsrechtsverletzungen. Insgesamt 22-mal haben Betroffene vor europäischen Gerichten bisher um Gerechtigkeit gekämpft. In keinem einzigen Fall hat ein Gericht ein Unternehmen zu Schadensersatz verurteilt. Das heißt: Die EU muss handeln, um Betroffenen einen erleichterten Rechtszugang zu schaffen!

Auch Unternehmen wollen ein Gesetz

Ein EU-Lieferkettengesetz ist im Gegensatz zu Verlautbarungen vieler Wirtschaftsverbände auch keine unzumutbare oder abwegige Idee; im Gegenteil, mehr als 2000 europäische Unternehmen haben sich dafür ausgesprochen. Denn sie wollen auch einen verbindlichen Rechtsrahmen, der für alle gilt. Wo sich keiner aus der Verantwortung stehlen kann.

Wo steht die EU?

Auch in den EU-Organen wollen einige handeln. So hat im März bereits das EU-Parlament einen Initiativ-Bericht vorgelegt, in dem es ein umfassendes Gesetz mit Klagemöglichkeit für Betroffene und Sanktionen für Unternehmen bei Verstößen entworfen hat. Auch Justizkommissar Reynders hat sich für eine neue Richtlinie ausgesprochen. Er will ein solches Gesetz auch mit einem neuem Unternehmensmodell verbinden, das nachhaltiges Wirtschaften als Unternehmensziel vorsieht.

Doch der Gegenwind wird stärker, Wirtschaftsverbände und politische Gegner*innen sind im Anmarsch. Ursprünglich sollte ein Gesetzgebungsvorschlag der Kommission bereits im Juni dieses Jahres kommen; erst wurde der Vorschlag auf Oktober verschoben, jetzt auf Dezember. Jetzt wurde auch noch Binnenmarktkommissar Breton eingeschaltet, der nicht als Befürworter eines Lieferkettengesetzes gilt.

Das heißt, wir müssen dringend aktiv werden! Schreiben Sie an die zuständige Vize-Präsidentin Jourová sowie die Kommissare Reynders und Breton und fordern Sie sie auf, zu handeln. Wir wollen nicht mehr auf Kosten von Menschen und Umwelt konsumieren. Wir wollen ein EU-weites Gesetz, das Ausbeutung in der Lieferkette verbietet!

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