Nichtregierungsorganisationen fordern, dass NATO-Staaten den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte auf Schutz der Zivilbevölkerung ausrichten

Der schon ab diesem Jahr geplante sukzessive Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan könnte gravierende Folgen für die Sicherheit der Zivilbevölkerung haben. Oxfam und mehrere internationale und afghanische Organisationen befürchten, dass die Übergriffe durch die afghanische Armee und Polizei stark zunehmen werden. Dies geht aus dem am 10. Mai 2011 veröffentlichten Bericht "No Time to Lose. Promoting the Accountability of the Afghan National Security Forces" hervor. "Wir fordern von den NATO-Staaten und der afghanischen Regierung, vor dem Abzug bessere Mechanismen zur Kontrolle der afghanische Sicherheitskräfte einzuführen und die Ausbildung stärker darauf auszurichten, Gewalttaten gegen Zivilpersonen vorzubeugen", sagt Oxfam-Geschäftsführer Paul Bendix.

"No Time to Loose" berichtet von Übergriffen afghanischer Sicherheitskräfte auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Folter, willkürlichen Tötungen sowie Rekrutierung von Kindern. Zudem werden Rekruten der afghanischen Sicherheitskräfte nur unzureichend auf ihre Zuverlässigkeit und eventuelle kriminelle Vergangenheit geprüft; mehrere Zehntausend Polizisten sind ohne jegliche Ausbildung eingestellt worden.

"Die Menschen in Afghanistan setzen große Erwartungen in ihre Sicherheitskräfte. Seit Jahren werden Milliarden in deren Aufbau investiert. Trotzdem sind die Polizei und das Militär häufig eher eine Gefahr als ein Schutz für die Bürgerinnen und Bürger", berichtet Bendix. "Deutschland und seine Verbündeten tragen eine große Verantwortung dafür, dass nach ihrem Abzug in Afghanistan Recht und Gesetz gewährleistet sind. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind davon leider noch weit entfernt", so Bendix.

Die NATO hat ihre Verfahren zur Aufklärung von Übergriffen und zur Entschädigung ziviler Opfer deutlich verbessert. Allerdings wurde kaum etwas getan, um diese Standards auch auf die von der NATO geschulten afghanischen Sicherheitskräfte zu übertragen. So gibt es derzeit kein funktionierendes System für Beschwerden und Schadensersatzansprüche von Zivilpersonen, die durch afghanische Soldaten oder Polizisten geschädigt wurden.

Die Herausgeber des Berichts fordern die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung deshalb zu folgenden Maßnahmen auf:

  • die Ausbildung der afghanischen Polizei zu verlängern und rechtsstaatliches Polizeihandeln in deren Mittelpunkt zu stellen,
  • bei Militär und Polizei wirksame Beschwerde-, Entschädigungs- und Überprüfungsmechanismen einzurichten,
  • Rekruten vor ihrer Einstellung besser zu überprüfen,
  • den Frauenanteil in den afghanischen Sicherheitskräften zu erhöhen,
  • die Ausstattung von Militär und Polizei zu verbessern,
  • die Zusammenarbeit mit Milizen einzustellen, die die staatliche Polizei auf Gemeindeebene unterstützen, aber weitgehend unkontrolliert handeln.

Die Studie "No Time to Lose. Promoting the Accountability of the Afghan National Security Forces" wurde von Oxfam verfasst und gemeinsam mit den Organisationen Campaign for Innocent Victims in Conflict (CIVIC), Peace Training and Research Organisation (PTRO) sowie Human Rights, Research and Advocacy Consortium (HRRAC) herausgegeben.

Sie finden die Studie (frei ab 10.5.2011, 00:01 Uhr) hier zum Download: http://www.oxfam.de/ansf-accountability

Am 9. Mai 2011 sind Telefon-Interviews (auf Englisch) mit der Oxfam-Autorin des Berichts, Rebecca Barber, möglich. Außerdem ist sie am 13. Mai 2011 in Berlin - auf Wunsch kann an diesem Tag ein Hintergrundgespräch vereinbart werden.