Wenn es zu Preisexplosionen bei Nahrungsmitteln kommt, leiden die Ärmsten der Armen am meisten, weil Essen für sie unerschwinglich wird. Die maßlose Spekulation kann zu extremen Preisschwankungen beitragen und damit mitverantwortlich für Armut und Hunger sein. Um diese Entwicklung zu stoppen, verabschiedete das Europaparlament 2014 die Finanzmarkt-Richtlinie. Kernpunkt sind sogenannte Positionslimits, Obergrenzen für den rein spekulativen Börsenhandel mit Agrarprodukten wie Weizen und Mais. Doch die von der Kommission vorgelegten technischen Standards (RTS21) versagen bei der Eindämmung der exzessiven Spekulation, weil sie zu hohe und damit unwirksame Grenzwerte erlauben.
Regulierungen ohne Biss
Die Positionslimits sollen eine Verzerrung des Marktes verhindern und die extremen Preisschwankungen bei Nahrungsmitteln reduzieren, die für Millionen Menschen in Entwicklungsländern zu einer Frage von Leben und Tod werden können. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene Verfahren erlaubt nationalen Behörden jedoch, sehr hohe und damit unwirksame Grenzwerte zu setzen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Positionslimits in Höhe von bis zu 35 Prozent möglich. Das bedeutet, dass ein einziger Spekulant am Ende des Termingeschäfts 35 Prozent des auf dem Markt lieferbaren Weizens halten kann. Damit könnten nur drei Händler allein den Finanzmarkt eines Rohstoffes kontrollieren. Maßlose Spekulation ist dadurch vorprogrammiert. NGOs wie Oxfam hatten ein Positionslimit in Höhe von 10 bis 15 Prozent für Nahrungsmittel und Rohstoffe gefordert.
Die vorgeschlagenen Regeln beinhalten außerdem weitere Schlupflöcher: So sollten die Positionslimits ursprünglich für den Mutterkonzern einschließlich Tochtergesellschaften gelten. Im neuen Vorschlag können Konzerne diese Regelung umgehen, wenn sie nachweisen können, dass der Mutterkonzern keinerlei Einfluss auf die Anlageentscheidungen einer Tochtergesellschaft in Bezug auf die Positionen hat.
Das Europaparlament sollte den Kommissionsvorschlag ablehnen
Mit der Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID II) brachte die EU 2014 erstmals eine Regulierung ihrer Rohstoffmärkte auf den Weg, die die maßlose Spekulation mit Nahrungsmitteln eindämmen sollte. Oxfam begrüßte damals die Regulierung als wichtigen Fortschritt, warnte aber vor den Schlupflöchern, die die mächtige Finanzlobby ausnutzen könnte. Diese Sorge sieht Oxfam nun bestätigt. „Wer die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln wirklich verhindern will, kann den Kommissionsvorschlag nur ablehnen“, erklärt Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale. „Die Europaabgeordneten müssen jetzt Flagge zeigen und sich dafür einsetzen, dass für diesen unzureichenden Kommissionsvorschlag keine Mehrheit zustande kommt. Stattdessen muss ein neuer Vorschlag entwickelt werden, der die vom Europaparlament gewünschte regulierende Wirkung der Positionslimits sicherstellt und damit der Nahrungsmittelspekulation einen wirksamen Riegel vorschiebt.“ Das Europaparlament stimmt Mitte Februar über den Kommissionsvorschlag ab.
Hintergrund:
- Am 1. Dezember 2016 verabschiedete die EU-Kommission die Regulierungsstandards für die Umsetzung der Finanzmarkt-Richtlinie (Markets in Financial Instruments Directive, kurz MiFID II). Der Rat und das Europäische Parlament haben nun bis zum 1. März Zeit, die technischen Standards anzunehmen oder abzulehnen.
- Am 30.06.2016 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gegeben, dass der Geltungsbeginn von MiFID II um ein Jahr verschoben wird. Geltungsbeginn ist somit der 3. Januar 2018. Das Datum, bis zu dem die Mitgliedstaaten MiFID II als nationale Gesetzgebung umsetzen müssen, wurde auf den 3. Juli 2017 verschoben.
- Zur Neufassung der Finanzmarkt-Richtlinie 2014 hatten Europaabgeordnete wie Markus Ferber (CSU), damaliger Verhandlungsführer für das EU-Parlament, das Ende der skandalösen, rein spekulativen Geschäfte mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen verkündet. Eine Zustimmung zu den nun vorgeschlagenen Regeln würde diese Aussage ad absurdum führen.
Hinweis an die Redaktion:
- Oxfam fordert, dass die Europaabgeordneten den neuen Vorschlag ablehnen. Den Link zur Petition finden Sie hier: www.oxfam.de/gegenspekulation