Eine tödliche Kombination aus geschlossenen Grenzübergängen, Luftangriffen, reduzierten logistischen Kapazitäten, Evakuierungsanordnungen und einem verfehlten israelischen Genehmigungsverfahren, das die Verteilung von humanitärer Hilfe innerhalb des Gazastreifens erschwert, macht es Hilfsorganisationen annähernd unmöglich, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Seit der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen am 6. Mai geschlossen wurde, ist der von Israel nach Gaza führende Übergang Kerem Shalom momentan der einzige, der genutzt werden kann. Tausende LKWs mit humanitären Hilfsgütern, die aktuell bei Rafah in der Warteschlange stehen, sollen dorthin umgeleitet werden, also in ein Gebiet, das mitten in der Kampfzone liegt. Zudem führt die schleppende Erteilung  von Genehmigungen für Aufnahme und Transport von Hilfsgütern, die die Grenze nach Gaza passiert haben, dazu, dass Lieferungen oft abgebrochen werden müssen.

Das sorgt dafür, dass die Ernährungssituation in Gaza von Tag zu Tag präkerer wird: Eine im Mai von Hilfsorganisationen durchgeführte Umfrage zeigte, dass 85 Prozent der Kinder an mindestens einem von drei Tagen nichts gegessen hatten. Hinzu kommt, dass die Ausgewogenheit der zur Verfügung stehenden Nahrung immer schlechter wird und Lebensmittel zu Preisen verkauft werden, die sich die meisten Menschen nicht leisten können. Trotz israelischer Zusicherungen,  Unterstützung für die fliehenden Menschen zu gewähren, wird diesen in weiten Teilen des Gazastreifens humanitäre Hilfe vorenthalten. Eine Hungersnot rückt dadurch immer näher.

"Israel hat schon vor Wochen behauptet, dass es der Zivilbevölkerung, die es zum Abzug aufgefordert hatte, volle humanitäre und medizinische Hilfe bereitstellen würde - als Besatzungsmacht sind sie rechtlich sogar dazu verpflichtet, humanitäre Hilfe nicht zu behindern”, so Robert Lindner, Referent für Nahostpolitik bei Oxfam Deutschland. “Es ist sehr besorgniserregend dass dies trotzdem passiert - und auch noch straffrei bleibt. Zusammen mit den andauernden Bombardierungen schafft dies extrem gefährliche, wenn nicht unmögliche Bedingungen für die Arbeit der humanitären Organisationen."

Schätzungsweise 1,7 Millionen Menschen, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung des Gazastreifens, sind aus Rafah unter anderem in nördlich angrenzende Gebiete geflohen und dort auf einer Fläche von 69 km² eingepfercht. Hier müssen sie für einfache Zelte bis zu 700 Dollar zahlen. Auch sonst sind die Lebensbedingungen unvorstellbar. So müssen sich in dem von Israel als “humanitäre Zone” ausgewiesenen Al Mawasi über 4.000 Menschen eine einzige Toilette teilen. Zudem werden solche angeblich sicheren Gebiete immer wieder bombardiert. Dadurch starben letzte Woche dutzende vertriebene Menschen in ihren Zelten.  

Redaktionelle Informationen 

  • Oxfam fordert alle Kriegsparteien auf, sich auf einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu einigen. Nur so kann Tod und Zerstörung ein Ende gesetzt, vollständiger und dauerhafter Zugang zu allen Grenzübergängen hergestellt und damit humanitäre Hilfe in vollem Umfang geleistet werden. 

  • Außerdem müssen alle Geiseln sofort freigelassen werden. Auch unrechtmäßig inhaftierte palästinensischen Gefangenen müssen freigelassen werden. 

  • Der Grenzübergang Rafah ist seit dem 6. Mai geschlossen, und über 2.000 LKW mit Hilfsgütern – in der Mehrzahl Lebensmittel – stecken in einem über 40 Kilometer langen Stau fest, der bis zur ägyptischen Stadt Arish zurückreicht. 

  • Die Genehmigungen für Hilfsorganisationen, für Aufnahme und Transport von Hilfsgütern innerhalb des Gazastreifens sowie zum Aufzutanken von Lastwagen, müssen von der israelischen Koordinations- und Verbindungsbehörde (CLA) bestätigt werden. 

  • Die Einzelheiten der Lebensmittelerhebung durch das Nutrition Cluster - bestehend aus Hilfsorganisationen, die in Gaza arbeiten, darunter Oxfam - finden sich in diesem OCHA-Update vom 27. Mai.  

  • Es wird geschätzt, dass sich mindestens 550.000 Menschen in Al-Mawasi aufhalten. Derzeit sind nur 121 Toiletten installiert. Geht man von einer konservativ geschätzten Zahl von 500.000 Menschen aus, so kommen 4.132 Menschen auf eine Toilette. 

  • Der UNRWA-Tracker zeigt die Hilfslieferungen, die über den Kerem-Shalom-Übergang in den Gazastreifen kamen und vom 6. bis 31. Mai abgeholt werden konnten. 

  • Im März hat die sog. Integrierte Klassifizierung der Ernährungssicherheitsphasen (Integrated Food Security Phase Classification, IPC) in ihrem Bericht festgestellt, dass im nördlichen Gazastreifen ab Mai eine Hungersnot droht und dass die Hälfte der Gesamtbevölkerung (1,1 Millionen Menschen) bis Mitte Juli von einer katastrophalen Nahrungsmittelknappheit bedroht sein wird. 

  • Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Regierung, gab am 6. Mai diese Erklärung zur humanitären Unterstützung ab.