Araba Ballo zeigt ihr Gebiss. Etliche Zähne fehlen. „Das kommt vom Beschneiden“, erklärt sie. „Weil man immer so doll die Zähne zusammenbeißt, wenn man schneidet. Das geht fast allen Beschneiderinnen so.“ Araba lebt in einem kleinen Dorf im Süden Malis, 70 Jahre ist sie alt. Wie viele Mädchen und Frauen sie beschnitten hat, kann sie nicht sagen. Früher gab es vor allem Gruppenbeschneidungen, bei denen Mädchen desselben Alters gemeinsam beschnitten wurden. Heute werden Beschneiderinnen meistens zu individuellen Terminen gerufen.

Mit dem Beschneiden begonnen hat Araba nach ihrer Menopause. Denn von ihrer Mutter wusste sie: Man soll keine Mädchen beschneiden, wenn man selbst noch Kinder bekommen kann. Mit dem Beschneiden aufgehört hat sie, als sie Virginie traf. „Sie hat mich gefragt“, erzählt Araba, „ob ich ganz zahnlos sterben will.“

Benachteiligung von Frauen in Mali

Virginie Mounkoro ist Gründerin von Oxfams Partner-Organisation APSEF (Association pour la Promotion des Droits et du Bien Être de la Famille), einer Organisation, die seit Jahren dafür kämpft, die Rechte von Frauen und Mädchen in Mali zu stärken. Und das ist bitter nötig. Denn zwar ist der Grundsatz der Geschlechtergleichheit in der malischen Verfassung festgeschrieben. Faktisch jedoch werden Frauen gegenüber Männern deutlich benachteiligt.

Das betrifft sowohl Bildungs- und Berufschancen als auch den sozialen und ökonomischen Status von Frauen. So besuchen Mädchen weitaus seltener die Schule als Jungen, und Frauen verfügen kaum über eigenes Einkommen. Ehefrauen haben nach der Scheidung kein Anrecht auf ihre Kinder, und Väter können ihre Töchter – der traditionellen Praxis folgend – gegen ihren Willen und oftmals sehr jung, im Alter von 15 oder 16 Jahren, verheiraten.

Weibliche Beschneidung ist weit verbreitet

Ein weiteres großes Problem ist die Beschneidung von Frauen und Mädchen. Im Gegensatz zu anderen westafrikanischen Ländern wie Burkina Faso, Benin oder Togo, die bereits Verbote erlassen haben, bleibt in Mali die weibliche Beschneidung ungeahndet und ist überdurchschnittlich weit verbreitet. Etwa 89 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind betroffen. Weibliche Beschneidung wird praktiziert, um kulturelle Traditionen zu wahren, vermeintlich religiöse Gebote einzuhalten oder die weibliche Sexualität zu kontrollieren.

Auch in der extrem abgelegenen und strukturschwachen Gemeinde Nyamina am Nordufer des Niger, in der Araba Ballo lebt, ist das nicht anders. Hier sind sogar 98 Prozent der weiblichen Bevölkerung betroffen. Gesellschaftlicher Druck und Furcht vor Ausgrenzung tragen zum Fortbestand der Praktik bei. Denn nicht beschnittene Mädchen haben in traditionellen Gesellschaften oft einen schwierigen Stand. Auch gibt es die Furcht vor mythischen Sanktionen. Zum Beispiel vor der Strafe der Ahnen, die über die Menschen komme, wenn Töchter nicht beschnitten werden oder unbeschnittene Frauen in der Dorfgemeinschaft leben.

Aufklärungsarbeit durch Oxfams Partnerorganisation APSEF

Bildergestützte Sensibilisierungsarbeit im Dorf Toumani
Bildergestützte Sensibilisierungsarbeit im Dorf Toumani
Doch langsam brechen die alten Traditionen auf. In 30 der 50 Dörfer, die zur Gemeinde Nyamina gehören, sind Virginie und Oxfams Partner-Organisation APSEF aktiv – auch, um über weibliche Beschneidung aufzuklären. APSEF arbeitet bereits seit mehreren Jahren in der Gemeinde und setzt auf einen langfristigen Bewusstseins- und Verhaltenswandel in der Bevölkerung. Die Organisation versucht zudem, alle Gruppen der Bevölkerung zu erreichen: Alte, Junge, Männer, Frauen, politische Entscheidungsträger, religiöse Führer, Pädagogen, medizinisches Personal usw.

In Einzel- und Gruppengesprächen erhalten die Menschen Schulungen zu den medizinischen Grundlagen und Funktionen der einzelnen weiblichen Organe. Sie werden darüber aufgeklärt, was bei der Beschneidung passiert und welche Folgen sie für die Frauen haben kann. Hierzu zählen Blutstürze – mitunter bis zum Verbluten – und Blutvergiftungen ebenso wie Langzeitfolgen wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Geburtskomplikationen, Depressionen und Angststörungen durch das traumatische Erlebnis.

Behutsames Annähern an das Thema Beschneidung

Beschneidung ist bei den Gesprächen, die auf gesellschaftlichen Wandel setzen, jedoch niemals das erste Thema. ASPEF nähert sich behutsam diesem anfangs sehr tabuisierten Thema und  spricht mit den verschiedenen Zielgruppen zunächst lange über traditionelle Praktiken im Allgemeinen, bis schließlich – teils erst Monate später – erstmals weibliche Beschneidung von den Menschen selbst benannt und von APSEF als Thema aufgegriffen wird.

Der Ansatz zeigt Erfolg: Die Zahl der Beschneidungen in Nyamina geht zurück.

Auch Araba Ballo hat mit dem Beschneiden aufgehört – nicht nur wegen des Hinweises auf die fehlenden Zähne.
Die Dorfberaterin Aminata Doumbia (links) mit Araba Ballo
Sie hörte auf, als sie verstand, welche Folgen ihr Handeln für die Mädchen und Frauen hat und warum die weibliche Beschneidung eine Tradition ist, die gebrochen werden kann und gebrochen werden sollte. „Ich war in der Dunkelheit des Unwissens. APSEF hat mir Licht gebracht.“ So drückt sie selbst es aus.

Araba wünscht sich, dass das Projekt noch lange Bestand hat. Viele weitere Frauen sollen etwas über die Zusammenhänge von Beschneidung und deren gesundheitliche Folgen erfahren. Ihr Handwerk hat Araba weder an ihre Töchter noch an ihre Schwiegertöchter weitergegeben. Im Gegenteil: Sie setzt sich heute aktiv gegen Beschneidung ein. Ihre Enkelinnen sollen keinesfalls beschnitten werden. Das wird sie verhindern.

Mehr Informationen über das Projekt finden Sie hier: Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen in Mali

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„Weibliche Genitalverstümmelung“, „Beschneidung von Frauen“, „Female Genital Cutting“: viele Begriffe für ein komplexes Thema. Lesen Sie hier mehr zur Erklärung der Begriffe und über ihre Verwendung bei Oxfam.