Es ist unbestritten, dass die Corona-Krise im Globalen Süden desaströse Auswirkungen haben wird: Bis zu 500 Millionen Menschen könnten in Armut abrutschen, die Zahl der Hungernden könnte sich bis Ende 2020 verdoppeln. Weltweite Solidarität ist das Gebot der Stunde: Arme Länder benötigen jetzt schnell finanzielle Unterstützung, um den Auswirkungen der Corona-Krise begegnen zu können und in Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Sicherungssysteme investieren zu können.

Gemeinsam mit über 100 anderen Netzwerken und Organisationen wie Erlassjahr.de und Eurodad hat Oxfam in einer gemeinsamen Erklärung die internationale Staatengemeinschaft und multilaterale Institutionen aufgefordert, schnell und entschieden zu handeln und arme Länder von ihrer Schuldenlast zu befreien.

Es ist Zeit für einen umfassenden Schuldenerlass – aus mindestens vier guten Gründen:

1. Schon vor Corona nahmen Schulden vielen Ländern die Luft zum Atmen  

Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie war die Verschuldungssituation laut Schuldenreport 2020 in 124 Staaten kritisch bis sehr kritisch. Viele Länder ächzten unter einer erdrückenden Schuldenlast: Insgesamt müssten Schwellen- und Entwicklungsländer in diesem Jahr schätzungsweise 400 Milliarden US-Dollar Schulden zurückzahlen – Geld, das bereits vor der Corona-Krise für Investitionen in Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Absicherung fehlte.

So geben 64 Staaten mehr für den Schuldendienst aus als für die Gesundheitsversorgung. Ghana etwa wendet elfmal mehr für Schuldenrückzahlungen auf, als es für Gesundheit ausgibt. Der finanzielle Spielraum vieler Staaten war also schon vor der Krise begrenzt. Dies ist einer der Gründe, warum die Gesundheitsversorgung in vielen Ländern unterfinanziert und mangelhaft ist. So gibt es in der Zentralafrikanischen Republik nur drei Beatmungsgeräte für die gesamte Bevölkerung, und Kenia verfügt nur über 130 Intensivbetten im ganzen Land. Im Klartext: Schon vor der Krise waren Schuldenerleichterungen für arme Länder überfällig!

2. Die Corona-Krise verschärft die Situation in armen Ländern dramatisch

Die Corona-Krise wirkt nun wie ein Brandbeschleuniger für die ohnehin schon eingeschränkte politische und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit vieler Länder. Afrikanische Länder haben nach Angaben der Vereinten Nationen allein im März Einbußen in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar durch die Folgen der Pandemie – eine Summe, die dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von Uganda entspricht.

Es zeigen sich dieselben Mechanismen wie in anderen Krisen zuvor: Zahlreiche Länder leiden unter massiver Kapitalflucht, da Investoren aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit ihr Geld abziehen und in stabileren Währungen anlegen. Der weltweite wirtschaftliche Stillstand lässt die Rohstoffpreise purzeln. Reisen ist nicht mehr möglich, wodurch die Einnahmen durch Tourist*innen wegfallen. Die staatlichen Einnahmen sinken und der Handlungsspielraum der Regierungen wird massiv eingeschränkt. Das in einer Zeit, in der entschieden gegengesteuert und in öffentliche Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Sicherungssysteme investiert werden müsste, um die Folgen der Krise abzufedern.

Während in reicheren Ländern umfassende Rettungs- und Konjunkturpakete geschnürt werden, fehlen den armen Ländern hierfür die Mittel. Mit fatalen Folgen: Viele Arbeiter*innen verlieren ihre Jobs und haben keinerlei soziale Absicherung. Viele werden sich nicht einmal mehr Nahrungsmittel leisten können. Den ohnehin mangelhaften Gesundheitssystemen droht der endgültige finanzielle Kollaps, sodass Menschen nicht behandelt werden können.

Die Corona-Krise wird wohl auch eine verheerende Bildungskatastrophe auslösen: Von den 1,5 Milliarden Schüler*innen und Studierenden, die von den weltweiten Schulschließungen betroffen sind, werden Hunderte Millionen nie wieder ins Klassenzimmer zurückkehren. Entweder weil die staatlichen Bildungsangebote nicht mehr finanziert oder Gebühren nicht mehr aufgebracht werden können.

Sie werden ihrer Zukunft beraubt. Die Staaten des Globalen Südens brauchen daher dringend und möglichst umgehend die Mittel, um diese Menschen zu unterstützen. Der Verzicht auf Schuldenrückzahlungen ist dafür der schnellste Weg und kann so helfen, die jetzt notwendigen Investitionen zu finanzieren und Leben zu retten.  

3. Ein „Rettungspaket für alle“ ist nur durch umfassenden Schuldenerlass finanzierbar

Da die ärmsten Länder der Welt keine eigenen Mittel haben, um Rettungspakete zu schnüren, ist internationale Unterstützung extrem wichtig. Oxfam fordert von der internationalen Gemeinschaft ein „Rettungspaket für alle“ – damit arme Länder ihre öffentlichen Bildungs-, Gesundheits- und sozialen Sicherungssysteme stärken, betroffenen Menschen Bargeldzuschüsse gewähren und gefährdete Kleinunternehmen retten können.

Die UN-Organisation UNCTAD, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, beziffert den Finanzbedarf in Entwicklungsländern zur Bewältigung der Krise auf 2,5 Billionen US-Dollar. Eine Billion davon ist laut UN durch Schuldenerlass aufzubringen, eine weitere durch Sonderhilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Für die restlichen 500 Milliarden müssen die reichen Länder ihre Etats für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen.

Ohne umfassende Schuldenerlasse sind weltweite Rettungspakete also nicht zu finanzieren. Die Schuldenerlasse würden beinhalten, dass die Gläubiger auf zukünftige Zahlungen aus armen Ländern verzichten und so dazu beitragen, diesen Ländern den nötigen politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielraum zu geben, den sie jetzt benötigen.

 4. Die bisherigen Maßnahmen von IWF und G20 lösen das Problem nicht

Ein erster wichtiger Schritt, um arme Länder zu entlasten und direkt in den Ländern Mittel zur Bewältigung der Krise freizusetzen, ist getan: Der IWF hat  im Rahmen seiner Frühjahrstagung beschlossen, dass die 25 ärmsten und überschuldeten Länder im laufenden Jahr keinen Schuldendienst an die Institution leisten müssen und dieser gestrichen wird.

Im Zuge eines wachsenden zivilgesellschaftlichen Drucks und auf Anraten von IWF und Weltbank haben auch die G20 gehandelt und kurz darauf auf Finanzministerebene ein Schuldenmoratorium beschlossen. Dieses gilt für 77 der ärmsten Länder und sieht die Befreiung von Schuldenrückzahlungen an die G20-Länder im Jahr 2020 vor, die Schulden sollen später beglichen werden. Zum Beispiel würde in Ghana ein Erlass der Auslandsschulden im Jahr 2020 die Regierung in die Lage versetzen, jedem der 16 Millionen Kinder, Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen über einen Zeitraum von sechs Monaten einen Barzuschuss von 20 Dollar pro Monat zu gewähren.

Die internationale Gemeinschaft hat damit ein wichtiges Signal gesetzt. Was aber passiert in den kommenden Jahren? Denn die Streichung der Schuldenrückzahlungen durch den IWF gilt erstmal nur für 2020, und die G20 haben die Schulden nicht erlassen. Der in diesem Jahr nicht geleistete Schuldendienst an die G20-Länder soll nach derzeitigem Stand ja nachgeholt werden. Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass die Corona-Krise und ihre Folgen die Welt jahrelang beschäftigen und gerade die ärmsten Länder nicht in der Lage sein werden, in den kommenden Jahren die Zahlungen zu leisten.

Es ist also vor allem ein wenig Zeit gewonnen, das grundlegende Problem ist jedoch nicht gelöst. Dies kann nur durch weitere Maßnahmen geschehen:  etwa die Befreiung von Schuldenrückzahlungen auch in den kommenden Jahren und Schuldenerlasse für die ärmsten Länder unter Einbeziehung aller Akteure, also auch privater Gläubiger und der Weltbank.

Was die Bundesregierung jetzt tun muss

Die internationale Staatengemeinschaft muss jetzt die Grundlagen dafür legen, dass alle Länder durch den Verzicht auf Schuldenrückzahlungen über das laufende Jahr hinaus in die Lage versetzt werden, ihre Menschen vor den Folgen von Corona zu schützen. Deutschland als eine der reichsten Wirtschaftsnationen der Welt und wichtiges Mitglied in den international führenden Institutionen muss sein ganzes Gewicht dafür nutzen.

Finanzminister Olaf Scholz ist also gefordert:

Erstens muss Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und  alle Schuldendienstzahlungen ärmeren Ländern bis mindestens 2022 erlassen. Das bedeutet alle Rückzahlungen und damit verbundene Zinsen, Tilgungen und Gebühren sollen dauerhaft gestrichen und nicht nur aufgeschoben werden. Nach derzeitigem Stand stehen die Länder des Globalen Südens noch mit rund 15 Milliarden Euro bei Deutschland in der Kreide. Ein solcher Schritt hätte Signalwirkung und würde den Druck auf andere bilaterale Geber erhöhen, insbesondere die anderen G20-Länder.

Zweitens gilt es, jetzt die Weichen in den internationalen Institutionen zu stellen. Die Weltbank hat sich, im Gegensatz zum IWF, nicht zu einem eigenen Schuldenerlass oder -moratorium verpflichtet, obwohl arme Länder ihr doppelt so viel schulden wie dem IWF. Deutschland und die anderen Anteilseigner müssen die Weltbank dazu bewegen, dies umgehend nachzuholen und im IWF darauf hinwirken, Schuldenstreichungen über 2020 hinaus fortzusetzen und auf alle Länder, die diese Erlässe benötigen, auszudehnen.

Auch auf private Gläubiger muss der Druck erhöht werden: G20 sowie IWF und Weltbank sollten jedes Land, welches in Absprache mit Gläubigerländern oder -institutionen Schuldenrückzahlungen an diese  einstellt, ermutigen, auch Zahlungen an private Gläubiger einzustellen. Auch hierfür muss sich die Bundesregierung einsetzen.

Drittens muss sich die Bundesregierung für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren unter dem Dach der Vereinten Nationen einsetzen. Denn auch im Falle der anvisierten Streichungen bleiben die Schuldenstände vieler Länder auf längere Zeit untragbar hoch. Daher muss bei einer drohenden Überschuldung die Schuldentragfähigkeit eines Landes unter Berücksichtigung aller Schulden in einem effizienten und gerechten Verfahren unabhängig bewertet werden. Darauf aufbauend können in Verhandlungen unter Einbeziehung aller Gläubiger Verbindlichkeiten erlassen, ausgesetzt oder umgeschuldet werden. So erhalten überschuldete Staaten die Möglichkeit zu einem Neuanfang und können sich aus der Schuldenspirale befreien.

Helfen Sie uns, Schulden zu streichen, um Leben zu retten!

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