Unser neuer Bericht „Dignity Not Destitution" zeigt, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie den Kampf gegen die Armut um ein Jahrzehnt zurückwerfen könnten, im Nahen Osten und einigen Regionen Afrikas sogar um 30 Jahre.

Demnach würde ein Einkommensrückgang der Haushalte um 20 Prozent dazu führen, dass weitere 434 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag rutschen, die Zahl der Armen würde auf über eine Milliarde steigen. Setzt man die Armutsgrenze entsprechend der erweiterten Definition der Weltbank bei 5,50 US-Dollar an, würden 548 Millionen Menschen zusätzlich unter diese Schwelle rutschen. Die Gesamtzahl der Armen wüchse dann auf fast vier Milliarden Menschen an.

Die Pandemie droht, Armut und soziale Ungleichheit weiter zu verschärfen: Weltweit arbeiten zwei Milliarden Menschen im informellen Sektor ohne soziale Absicherung, die Mehrheit davon in armen Ländern. Nur jede*r fünfte Arbeitslose hat Zugang zu Arbeitslosenhilfe. Die Vereinten Nationen (UN) schätzen, dass in Afrika fast die Hälfte aller Arbeitsplätze verloren gehen könnte. Frauen sind besonders betroffen, denn sie sind häufiger prekär beschäftigt und schlechter bezahlt als Männer.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie werden vor allem in armen Ländern verheerend sein, wenn G20, IWF und Weltbank nicht schnell ein Rettungspaket für alle auf den Weg bringen. Sie müssen die Lehren aus der Finanzkrise 2008 ziehen und dafür sorgen, dass nicht nur Unternehmen gerettet werden, sondern die breite Bevölkerung Unterstützung erfährt.
Marion Lieser, Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland e.V.

Rettungspaket für alle

Wir fordern ein „Rettungspaket für alle“, damit arme Länder ihre öffentlichen Bildungs-, Gesundheits- und sozialen Sicherungssysteme stärken, betroffenen Menschen Bargeldzuschüsse gewähren und gefährdete Kleinunternehmen retten können. Die UN beziffern den Finanzbedarf in Entwicklungsländern auf 2,5 Billionen US-Dollar. Eine Billion davon ist laut UN durch Schuldenerlass aufzubringen, eine weitere durch Sonderhilfen des IWF (so genannte Sonderziehungsrechte). Für die restlichen 500 Milliarden müssen die reichen Länder ihre Etats für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen. Schon viel zu lange versäumen sie ihr Ziel, hierfür 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens aufzuwenden.

Um dies zu ermöglichen, ist auch die Bundesregierung gefordert. Drei Dinge sind jetzt entscheidend:

  • Erstens muss Deutschland sich bei den G20 und beim IWF für einen umfassenden Schuldenerlass für arme Länder sowie zusätzliche Finanzhilfen einsetzen und selbst mit gutem Beispiel vorangehen, wie von Entwicklungsminister Müller gefordert.
  • Zweitens muss der Etat der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von derzeit 0,61 (2018) auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens steigen und hierfür  die Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer nutzen.
  • Und drittens muss die Bundesregierung sich für international abgestimmte Mechanismen wie einen Globalen Fonds für soziale Sicherung einsetzen.

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Im Jahr 2018 lebten laut Weltbank 3,4 Milliarden Menschen von weniger als 5,5 Dollar pro Tag. Die Analyst*innen [des King’s College/der Australian National University] haben mathematische Modelle verwendet, um vorherzusagen, wie viele Menschen noch unter die abgestuften Armutsgrenzen der Weltbank von 1,90/3,20/5,50 US-Dollar pro Tag fallen würden, wenn das Einkommen um 5/10/20 Prozent sinkt. Wenn man die Bandbreite der Schätzungen berücksichtigt, sagen die Forscher einen Anstieg der Armut um 6 bis 8 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2018 voraus (siehe Seite 3 und 4 im Bericht). In Ghana würde ein Schuldenerlass ermöglichen, jedem der 16 Millionen Kinder, beeinträchtigte und älteren Menschen des Landes über einen Zeitraum von sechs Monaten einen Bargeldzuschuss von 20 Dollar pro Monat zu gewähren. Und durch Sonderhilfen des IWF hätte die äthiopische Regierung Zugang zu weiteren 630 Millionen US-Dollar – genug, um ihre Gesundheitsausgaben um 45 Prozent zu erhöhen.