Am 15. Oktober 2013 hat Oxfam gemeinsam mit Bündnispartnern im Bankenviertel in Frankfurt a. M. gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln demonstriert.

Mehr als 50.000 Menschen haben die Aktion mit ihrer Unterschrift unterstützt und gefordert: „Spekulanten in die Schranken!“.

Am selben Tag hat Jay Ralph, Vorstandsmitglied der Allianz SE, Oxfam einen offenen Brief geschrieben. Darin wirft er Oxfam vor, nicht faktenbasiert zu arbeiten und die Allianz für eine Kampagne zu missbrauchen. Diesen Vorwurf weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück.

In unserem Antwortbrief stellen wir dar, warum wir vom bisherigen Dialog mit der Allianz enttäuscht sind, welche Argumente der Allianz unserer Einschätzung zufolge unzutreffend sind und warum wir unsere Forderung an das Unternehmen, keine Anlageprodukte mit Agrarrohstoffbestandteilen mehr anzubieten, aufrechterhalten:

Antwortbrief von Oxfam

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30. Oktober 2013

Sehr geehrter Herr Ralph,

vielen Dank für Ihren Brief vom 14. Oktober 2013.1 Darin werfen Sie Oxfam vor, nicht faktenbasiert zu arbeiten und die Allianz für eine Kampagne zu missbrauchen. Diesen Vorwurf weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Unsere Arbeit zur Nahrungsmittelspekulation, einschließlich der Kampagnen „Mit Essen spielt man nicht!“ und „Spekulanten in die Schranken!“, basiert sowohl auf Fachliteratur und Expertenmeinungen als auch auf eigenen Recherchen und Analysen. Unsere Quellen, Methoden und Referenzen haben wir in unseren Publikationen und Gesprächen stets transparent gemacht. Gern möchten wir jedoch zu Ihrem Brief Stellung nehmen und Ihnen noch einmal ausführlich darlegen, warum wir weiterhin unsere Forderung an die Allianz und andere Finanzinstitute aufrechterhalten, Indexfonds und andere problematische Formen der Spekulation mit Agrarrohstoffderivaten einzustellen.

In diesem Brief gehen wir auf die Auslöser und Forderungen unserer Kampagne, den bisherigen Dialog zwischen der Allianz und Oxfam sowie Ihre Untersuchungen und Argumente ein. Wir begründen, weshalb wir keinen Grund zur Entwarnung sehen und unsere Forderungen aufrechterhalten.

Oxfams Kampagnenarbeit zu Nahrungsmittelspekulation

Hohe Preisvolatilität und unvorhersehbare Preissprünge bei Nahrungsmitteln gefährden das Leben und die Gesundheit von Menschen insbesondere im Globalen Süden. In den letzten Jahren haben die Schwankungen an den Märkten stark zugenommen. Für in Armut lebende Menschen, die bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Essen aufwenden müssen, sind die Folgen katastrophal. Auch Kleinbäuerinnen und -bauern sind betroffen, denn angesichts der massiven Preisschwankungen werden Investitionen für sie zum unberechenbaren Risiko. Stürzen die Preise zum Zeitpunkt der Ernte ab, droht der Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, im Rahmen unserer Arbeit zur Welternährung einen Schwerpunkt auf Preisvolatilität zu setzen.

Die turbulenten Preisbewegungen bei Nahrungsmitteln haben viele Ursachen, darunter die Folgen des Klimawandels, die Förderung von Agrokraftstoffen, Krisen und bewaffnete Konflikte, die Ölpreisentwicklung und unzureichende Lagerhaltung. Doch eine zunehmende Zahl von Studien zeigt, dass diese und andere Fundamentalfaktoren allein keine hinreichende Erklärung für die Preisentwicklungen der letzten Jahre bieten, sondern dass in der „Finanzialisierung“ der Agrarrohstoffmärkte eine weitere Problemquelle liegen dürfte (mehr dazu weiter unten). Die Deregulierung sowie die Entwicklung und Vermarktung neuer Anlageprodukte auf der Basis von Agrarrohstoffderivaten haben die Warenterminmärkte verändert und neue, aus unserer Sicht besorgniserregende Dynamiken an den Märkten entstehen lassen. Oxfams Kampagne zielt auf eine lückenlose Regulierung der Agrarrohstoffterminmärkte. Hier sehen wir die Politik in der Pflicht, und entsprechend wenden wir uns mit unseren Forderungen insbesondere an die Bundesregierung, die Institutionen der Europäischen Union und an die G20-Staaten.

Doch auch Investoren und Unternehmen stehen in der Verantwortung, keine Geschäfte zu tätigen, bei denen ein ernsthaftes Risiko besteht, dass durch sie Preisentwicklungen ausgelöst oder verstärkt werden, durch die in letzter Konsequenz das Menschenrecht auf Nahrung insbesondere armer Menschen bedroht wird. Aus diesem Grund richtet sich Oxfam auch an Finanzinstitute – wie die Allianz und die Deutsche Bank – mit der Forderung, das Vorsorgeprinzip ernst zu nehmen und bestimmte Finanzprodukte vom Markt zu nehmen.

Der Dialog zwischen der Allianz und Oxfam

Bereits vor Beginn unserer Kampagne im Mai 2012 haben wir uns zweimal an die Allianz gewandt, im August 2011 und im März 2012, mit der Bitte um eine Stellungnahme zu unseren Analysen und Forderungen und mit dem Angebot zur vertiefenden Erörterung. Darauf sind Sie zunächst nicht eingegangen. Im Juli 2012 haben wir uns dann zu einem ersten Dialog getroffen. Bereits in diesem Gespräch haben Sie und Ihre Mitarbeiter/innen uns mitgeteilt, dass Sie keinerlei Ansatzpunkte für eine Kritik am Rohstofffondsgeschäft der Allianz sehen. Dass Sie zu dem Zeitpunkt des Gesprächs bereits ein internes Working Paper erstellt hatten, das sich deutlich differenzierter mit der Frage nach der potenziellen Wirkung von Spekulation auf die Nahrungsmittelpreise auseinandersetzt und einräumt, dass „nicht ganz von der Hand zu weisen [ist], dass die Spekulation übermäßige Preisentwicklungen zumindest fördert“, haben Sie uns gegenüber aber nicht einmal erwähnt.2 Von der Existenz dieses Papiers haben wir erst ein halbes Jahr später über Dritte erfahren.

Wir hatten nicht den Eindruck, dass die Allianz ernsthaft bereit sei, sich intensiver mit der Problematik auseinanderzusetzen. Da sich die Allianz auch im Nachgang an das Treffen nicht in der Lage sah, die von Ihnen im Gespräch erwähnten Erkenntnisse über die Wirkung Ihrer Fonds in einer Form zu veröffentlichen, die es erlaubt hätte, sich sachlich und tiefer damit auseinanderzusetzen, waren wir nach diesem ersten Dialoganlauf äußerst enttäuscht.

Wir waren dann positiv überrascht, dass M. Diekmann in seiner Rede zur diesjährigen Jahreshauptversammlung der Allianz Nahrungsmittelspekulation als ein zentrales Thema aufgegriffen und hervorgehoben hat, dass die Allianz dazu weitere Analysen angestellt habe. Auf unsere Frage hin, weshalb die Allianz diese nicht veröffentlicht, kündigte Herr Diekmann an, die Untersuchungen sollten zunächst noch von Wissenschaftlern bewertet werden, bevor sie dann veröffentlicht würden. Doch leider ist es bei dieser Ankündigung geblieben; außer Ihrem offenen Brief hat die Allianz bis heute nichts veröffentlicht.

Wir haben seit der Hauptversammlung den Dialog über mehrere Telefonate, E-Mails und ein Videogespräch mit Ihren Kolleg/innen weitergeführt. Wir haben auf deren Bitte hin auch noch einmal schriftlich dargelegt, worin unserer Ansicht nach zentrale potenzielle Folgen verschiedener Formen der Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen liegen.

Die Untersuchungen der Allianz

Sie sind unserer wiederholten Bitte nicht nachgekommen, uns zumindest in Teilen Ihre Untersuchungen und die Referenzen, aus denen Sie Ihre Beurteilungen der Index-Investitionen als unproblematische Anlageform ableiten, schriftlich zukommen zu lassen. Ihre Mitarbeiter/innen haben uns jedoch mündlich vorgetragen, wie die Allianz versucht hat, die potenziellen Wirkungen ihrer Fonds im Markt zu untersuchen. Wir begrüßen es, dass Sie diese Untersuchungen angestellt haben, haben Sie jedoch auch auf deren begrenzte Aussagekraft hingewiesen. Schließlich ist die Allianz nur ein Akteur im Markt, und wenn Sie keine preisbeeinflussenden Effekte Ihrer eigenen Fonds nachweisen können, bedeutet das nicht, dass es solche Effekte nicht gibt, schließlich ist das Gesamtvolumen der Index-Produkte ja deutlich umfangreicher. Wir denken, die Allianz ist auch für eine Wirkung mit verantwortlich, die durch einen von ihr betriebenen Fondstyp mit verursacht wird.

Den mündlichen Darstellungen Ihrer Kolleg/innen zufolge haben Sie analysiert, zu welchen Zeiten die Fonds Ihrer Tochter PIMCO Zuflüsse und Abflüsse verzeichnen und dabei festgestellt, dass sich deren Investoren überwiegend antizyklisch verhalten würden, also bei steigenden Preisen ihre Positionen eher abbauen und umgekehrt. Wir hatten keinen Einblick in diese Analyse und wissen nicht, über welchen Zeitraum sie sich erstreckt. Unsere eigenen, auf Monatsdaten basierenden Analysen zeigen hingegen eher ein gemischtes Bild. Demzufolge lassen sich antizyklische Zu- und Abflüsse in Ihren größten Fonds (Pimco CommodityRealReturn) für den Zeitraum 2011-2013 zeigen, in den davorliegenden Zeiträumen haben Sie Sich hingegen tendenziell entweder mit dem Markt (2002-2006 und 2009-2010) oder eher neutral (2007-2008) bewegt.

Ferner haben Sie Ihre größten Tageszuflüsse und -abflüsse im Zeitraum 2011-2013 betrachtet, diese gemäß dem Dow Jones UBS Commodity Index (DJ-UBSCI) in Futurevolumen umgerechnet und dann ins Verhältnis zu den insgesamt an den jeweiligen Futuremärkten offenen Positionen (Open Interest) gesetzt. Und weil Sie dabei selbst an Handelstagen mit großen Zu- und Abflüssen nur Werte von unter 0,1% ermittelt haben, gehen Sie davon aus, dass es keine Effekte gibt. Uns hat verwundert, dass Sie nicht trotzdem untersucht haben, ob an den entsprechenden Tagen ungewöhnliche Preiseentwicklungen feststellbar sind, die auf Ihre Handelsbewegungen zurückgehen könnten. Ohnehin wäre unseres Erachtens nicht das gesamte Open-Interest, sondern die Veränderung des Open Interest gegenüber dem des Vortags eine aussagekräftigere Bezugsgröße, um zu bemessen, welchen Anteil am Tageshandel ihre In- und Outflows ausmachen. Verwundert hat uns außerdem, dass Sie Ihre Untersuchung lediglich auf die letzten drei Jahre erstreckt haben, obwohl sich die Debatte vor allem auch um die Preisblase von 2007/2008 dreht.

Ihre Mitarbeiter/innen haben uns zudem mündlich eine Reihe von Antworten der PIMCO-Kolleg/innen auf Fragen zu Handelsstrategien und zur allgemeinen Einschätzung der Wirkung der PIMCO-Investments auf die Märkte vorgestellt. Auch diese Einschätzungen haben wir nicht schriftlich erhalten.

Uns wurde u. a. mitgeteilt, dass die Kolleg/innen von PIMCO davon ausgehen würden, dass es keinerlei Hinweise für negative Preiseffekte gebe. Eine so pauschale Aussage hat uns angesichts der kontroversen Debatte in der Wissenschaft und unter Experten überrascht. Ob sich diese Einschätzung auf eigene Untersuchungen, auf Studien oder einfach auf eine allgemeine Überzeugung stützt, konnte uns nicht mitgeteilt werden. Auch schreiben Sie in Ihrem Brief an uns, dass Sie die Argumente von Wissenschaftlern überzeugend finden, wonach realwirtschaftliche Faktoren für die Preisentwicklung in Entwicklungsländern Vorrang haben. Das mag sein. In der Tat spielen viele Faktoren eine Rolle, und auch wir haben nicht behauptet, dass Spekulation der zentrale Faktor für die Nahrungsmittelpreisbildung ist. Auch wenn realwirtschaftliche Faktoren Vorrang haben, bedeutet das ja in keiner Weise, dass Spekulation nicht zu Preisverzerrungen beiträgt.

Wissenschaftliche Evidenz und unbeantwortete Fragen

Zwar gibt es keine Einigkeit in der Wissenschaft, aber es wurden in den letzten Jahren viele Studien veröffentlicht, die genau darauf hinweisen, dass Index-Investoren zu einem Faktor unter mehreren geworden sind, die die Nahrungsmittelpreise beeinflussen.3 In Ihrem bereits erwähnten Working Paper führt die Allianz einige davon selbst an.4

So hat etwa der UNCTAD-Ökonom Jörg Mayer eindrücklich dargelegt, dass Index-Investoren im Zeitraum von 2006 bis 2009 die Preisentwicklungen einiger Agrarrohstoffe beeinflusst haben. Mayer weist dabei Kausalzusammenhänge zwischen den Positionsveränderungen von Index-Investoren und Rohstoffpreisen nach. Mayer hat dabei einen entgegengesetzten Kausalzusammenhang ausgeschlossen und keine Hinweise für die These gefunden, wonach Index-Investoren ihre Positionen aufgrund von Preisentwicklungen veränderten.5

Der Weltbank-Ökonom John Baffes hat in einem Fachartikel untersucht, welchen Einfluss verschiedene Faktoren auf die Preisspitze bei Nahrungsmitteln 2007/2008 hatten. Er stellt dabei eine stärkere Anbindung der Agrarrohstoffpreise an die Energierohstoffpreise fest und hält es für möglich, dass Investmentfonds eine Mitverantwortung für die Preisspitze tragen.6

Der Ökonom Christopher Gilbert hat, teilweise zusammen mit Simone Pfuderer, in den letzten Jahren zu verschiedenen Aspekten der Spekulationsdebatte publiziert. Einige seiner Untersuchungen weisen auf eine preisbeeinflussende Wirkung von Index-Investoren hin. Er unterstellt ihnen dabei eine Transmissionsriemen-Funktion, die dazu führe, dass makroökonomische und monetäre Faktoren gegenüber realwirtschaftlichen, in den jeweiligen Märkten begründeten Faktoren an Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise gewinnen. Zudem macht Gilbert auch auf methodologische Probleme aufmerksam. Aufgrund der unbefriedigenden Qualität der verfügbaren Daten über Positionen von Händlern an den Warenterminmärkten, aber auch aufgrund der begrenzten Eignung der im Großteil der makroökonomischen Literatur verwendeten Granger-Kausalitäts-Tests für die Analyse der Rohstoffterminmärkte sei die Aussagekraft vieler Studien zum Thema äußerst begrenzt.7

Besonders interessant ist vor diesem Hintergrund eine Studie von Henderson, Pearson und Wang aus dem Jahr 2012. Um dem Problem der unzureichenden Qualität der Commitments of Traders (COT) Reports der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) zu begegnen, die den meisten Studien als Datenquelle dienen, haben die drei Ökonomen die Wirkung von Commodity Linked Notes (CLN) analysiert. CLN sind wie Indexfonds Produkte, mittels derer Investoren in Derivate eines einzelnen Rohstoffes oder eines Indexes von Rohstoffen investieren können. Wie bei den meisten Fonds, einschließlich der relevanten der Allianz-Gruppe, sichern die Institute, die CLN herausgeben, ihre Risiken wiederum mittels Future-Long-Positionen oder entsprechender OTC-Swaps an den Warenterminmärkten ab. Im Gegensatz zu Indexfonds ist bei CLN jedoch nachvollziehbar, an welchem Tag die entsprechenden Investments auf den Warenterminmärkten zu Handelsbewegungen führen. Henderson, Pearson und Wang belegen dabei eine preistreibende Wirkung größerer, mittels CLN organisierter Zuflüsse in die Warenterminmärkte am sogenannten Pricing Day und am Folgetag. Sie kommen daher zu dem Schluss, dass die Future-Preise nicht nur durch realwirtschaftliches Angebot und realwirtschaftliche Nachfrage bestimmt seien, sondern auch durch das Verhalten von Finanzinstituten.8

Weitere Studien weisen vor allem auf die durch Index-Anlagen forcierte Korrelation zwischen unterschiedlichen Rohstoffen hin. So zeigen Ke Tang and Wei Xiong, dass insbesondere die Preise jener Rohstoffe, die in den beiden populärsten Rohstoff-Indizes (S&P GSCI und DJ-UBSCI) enthalten sind, deutlich stärker mit anderen Rohstoffen wie Öl korrelierten; Index-Investitionen spielten ihren Ergebnissen zufolge dabei eine zentrale Rolle.9 Auch Suleyman Basak und Anna Pavlova stellen fest, dass realwirtschaftliche Nachfrage- und Angebotsschocks von Rohstoffen, die Teil eines Indexes sind, auch auf andere Rohstoff-Futures übergriffen, während Schocks bei Nicht-Index-Rohstoffen auf die jeweiligen Futuremärkte begrenzt blieben. Ihren Modellrechnungen zufolge seien die Effekte der Finanzialisierung der Rohstoffmärkte für 11% bis 17% der Preisentwicklungen von Rohstoff-Futures verantwortlich.10

Die Zunahme der Korrelationen ist ein wichtiges Indiz für die Beeinflussung der Preise durch marktfremde Faktoren, und Index-Fonds wie die der Allianz spielen dabei eine Hauptrolle. Obwohl wir Sie mehrmals auf diese Problematik hingewiesen haben, gehen Sie auf diesen Punkt überhaupt nicht ein.

Schließlich stellen Sie mit Verweis auf nicht näher genannte Wissenschaftler die These auf, dass Future-Märkte die Spot-Märkte nicht beeinflussten, sondern dass die Preisentwicklung an den Warenterminmärkten von den Spot-Märkten gelenkt würde. Tatsächlich sprechen allerdings viele Anzeichen dafür, dass die Geschäfte an den Warenterminmärkten die realen Preise mit beeinflussen. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass die Spot-Märkte keinen Einfluss auf die Future-Märkte haben. Logischer erscheint hingegen eine bidirektionale Beeinflussung. Die Preissignale des Terminmarkts dienen dem gesamten Handel als Orientierungspunkte. Viele Produzentinnen und Produzenten oder Händler/innen beziehen sich bei der Verhandlung ihrer Lieferverträge auf den Preis an den Terminbörsen. Ein höherer zukünftiger Preis führt z. B. zu einer höheren Zahlungsbereitschaft im physischen Markt. Das führt zu einem Anstieg des aktuellen Preises. Die Preisführerschaft der Terminmärkte für die wichtigsten Nahrungsmittel ist von einer der global führenden Agrarforschungseinrichtungen, dem International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, belegt worden.11

Sie schreiben in Ihrem Brief, Sie hätten alle Fragen umfassend beantwortet. Wir erkennen an, dass Sie Sich der Debatte stellen, doch wie aus den oben genannten Punkten deutlich wird, gibt es in unseren Augen deutlich mehr offene Fragen als befriedigende Antworten. Weitere Punkte, bei denen wir Transparenz vermissen und auf die wir Sie hingewiesen haben, umfassen u. a. die Funktionsweise und Wirkung der OTC-Geschäfte Ihrer Indexfonds sowie den Zweck und die Strategie des Rohstoff-Hedgefonds PIMCO Commodity Alpha Fund, den Sie Anfang 2013 auf den Kaimaninseln gegründet haben.

Haben Index-Investitionen eine positive Wirkung?

Wir haben uns auch mit den beiden Argumenten befasst, die laut Allianz für eine positive Funktion von Indexfonds sprechen sollen. Eines davon ist die Diversifizierungsthese. Ihr zufolge sei es für langfristige Anleger/innen wichtig, ihr Investmentportfolio breit zu streuen. Rohstofffonds wird dabei oft zugerechnet, Inflationsrisiken in einem Portfolio zu mildern. Da Agrarrohstoffpreise ein wichtiger Bestandteil u. a. des US Consumer Price Index sind, böten Indexfonds mit Agraranteilen im Portfolio einen gewissen Schutz gegen steigende Preise. Doch ob dies in der Praxis funktioniert, muss bezweifelt werden. Denn in den letzten Jahren haben sich die Rohstoffmärkte zunehmend parallel zu Aktien- und anderen Anlagemärkten entwickelt. Wie oben ausgeführt wurde, spricht einiges dafür, dass diese Korrelationen durch Index-Investoren selbst verstärkt wurden. Auch Wissenschaftler, die lange Zeit die Vorteile von Index-Investitionen hervorgehoben haben, äußern inzwischen Zweifel, ob diese Anlageform tatsächlich hält, was sie verspricht.12 Im Übrigen gäbe es Alternativen, um langfristige Geldanlagen gegen höhere Nahrungsmittelpreise abzusichern, etwa Investments in die Land- und Lebensmittelwirtschaft.

Das andere Argument lautet: Indexfonds bringen Liquidität in die Märkte und erleichtern es dadurch realen Händlern, sich gegen Preisrisiken abzusichern. Ausgeblendet bleibt dabei die Tatsache, dass auch vor dem Eintritt der Indexfonds in das Spekulationsgeschäft an den großen US-Agrarwarenterminbörsen über Jahrzehnte hinweg ausreichend Liquidität vorhanden war, damit die Börsen ihre Preisfindungs- und Absicherungsfunktionen problemlos erfüllen konnten. Ferner gehen Indexfonds fast ausschließlich in Märkte, die ohnehin sehr liquide sind, während weniger liquide Kontrakte gemieden werden. Viele klassische Spekulanten (z. B. einige Banken oder Spezialhändler) sind permanent handelsbereit, sobald jemand anderes zu ihrem Kurs handeln will (sie erfüllen eine Market-Maker-Funktion). Dadurch bringen sie Liquidität in den Markt. Für die Termingeschäfte klassischer Rohstoffindexfonds hingegen spielen die Kurse eine untergeordnete Rolle: Wie Sie auch bestätigt haben, werden Long-Positionen von Futures nur gekauft, wenn neues Kapital in den Fonds fließt und nicht, weil der Kurs günstig erscheint. Und verkauft wird, wenn die Investoren Kapital aus dem Fonds abziehen. Rohstoff-Fonds brauchen also Liquidität, um Geschäfte machen zu können, aber sie sorgen nicht für mehr Liquidität auf den Warenterminmärkten.

Ignoriert wird ferner, dass der Markteintritt des überwältigenden, auf Long-Positionen setzenden Teils der Indexfonds vor allem zu einem einseitigen Zufluss von Nachfrage nach Long-Positionen führt. Denjenigen, die traditionell überwiegend Short-Positionen eingehen, kann dies vielleicht auch Vorteile bei der Absicherung ihrer Geschäfte bringen. Diejenigen Absicherungshändler, die jedoch überwiegend Long-Positionen halten, haben tatsächlich damit zu kämpfen, dass Long-Indexfonds einen großen Teil der Liquidität auf der Long-Seite aufsaugen, wodurch Absicherung für sie dementsprechend teurer werden kann. Das zeigt, dass es nicht nur auf das richtige Maß, sondern auch auf die Qualität der Liquidität auf den Märkten ankommt.

Ihre Argumentation, wonach Indexfonds einen wichtigen Nutzen sowohl für langfristige Investoren als auch als Lieferanten von Liquidität für Absicherungshändler bringen, überzeugt uns daher nicht. Insbesondere nicht, wenn man bedenkt, welche potenziellen Risiken diesem hypothetischen Nutzen gegenüberstehen.

Schlussfolgerungen

Diese Abwägungen führen uns zu dem Schluss, dass es geboten ist, Finanzanlageprodukte, die in Agrarrohstoffderivate investieren, nicht mehr anzubieten. Es gibt hinreichend Anhaltspunkte, die auf problematische, trendverstärkende Einflüsse dieser Produkte auf die Rohstoffpreise hindeuten, insbesondere im Vorfeld und während der Preiskrise von 2007/2008. Angesichts der Schwere der Folgen, die dies insbesondere für in Armut lebende Menschen sowie kleine Produzentinnen und Produzenten haben kann, halten wir eine vorsorgende Marktregulierung durch die Politik sowie eine Selbstbeschränkung durch die Finanzindustrie für geboten.

Wir sind uns dabei bewusst, dass die Informationslage und der Stand der Forschung über die hier im Raum stehenden Kausalzusammenhänge und die Stärke dieser Effekte hochgradig unbefriedigend sind. Wir sind daher auch davon überzeugt, dass weitere Untersuchungen und Erörterungen wünschenswert und notwendig sind. Wir würden es vor diesem Hintergrund sehr begrüßen, wenn die Allianz im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre eigenen Untersuchungen und Einschätzungen veröffentlichen würde. Sie haben uns gegenüber betont, dass Sie einige Informationen aus rechtlichen Gründen oder zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht veröffentlichen können. Ob dem so ist, können wir nicht beurteilen. Von den Informationen und Antworten, die Ihre Mitarbeiter/innen uns in unserem letzten Gespräch mündlich gegeben haben, halten wir jedoch zumindest den Teil, der keine konkreten Rückschlüsse auf bestimmte Geschäfte oder Strategien ermöglicht, für problemlos publizierbar. Dies gilt auch für das bereits erwähnte Working Paper oder ähnliche Untersuchungen, sollten sie existieren. Ein wesentlicher Grund für den unbefriedigenden Stand der Forschung ist der Mangel an zugänglichen Marktdaten. Hier müssen die Regulierungsbehörden handeln und die Markttransparenz erhöhen, doch auch einzelne Unternehmen können einen Beitrag leisten, insbesondere wenn sie innerhalb des Marktes so groß sind wie Allianz/PIMCO.

Wir fordern die Allianz ebenso wie andere Finanzinstitute weiterhin auf, keine Anlageprodukte mit Agrarrohstoffbestandteilen mehr anzubieten. Wir würden es stattdessen begrüßen, wenn die Allianz ihre Energie und Kraft in Bereiche investiert, die tatsächlichen sozialen und realwirtschaftlichen Fortschritt bringen können. Einiges hat die Allianz hier ja auch vorzuweisen. Um Hunger zu bekämpfen, sind unserer Ansicht nach keine Investitionen in Agrarrohstoffe oder deren Futures nötig, sondern nachhaltige Investitionen und Kredite für die Landwirtschaft und die restliche Nahrungsmittel-Wertschöpfungskette. Soziale und ökologische Kriterien müssen dabei ebenso Berücksichtigung finden wie die Integration kleiner Produzentinnen und Produzenten.13

Für weitere Gespräche stehen wir Ihnen weiterhin gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Marion Lieser
Geschäftsführerin
Oxfam Deutschland e.V.

Jörn Kalinski
Leiter Lobby- und Kampagnenarbeit
Oxfam Deutschland e.V.

1 Der Brief wurde von der Allianz am 15. Oktober auch als offener Brief veröffentlicht.

2 Brandmeir, Holzhausen, Steck (2012): Is speculation to blame for rising food prices? A compilation of facts & findings, Allianz Economic Research and Corporate Development Working Paper, 18.06.2012.

3 Für eine umfangreiche Literaturliste, die auch vielfach auf Indexfonds Bezug nimmt, siehe Markus Henn (2013): Evidence on the Negative Impact of Commodity Speculation by Academics, Analysts and Public Institutions, zugänglich über: http://www2.weed-online.org/uploads/evidence_on_impact_of_commodity_speculation.pdf.

4 Brandmeir, Holzhausen, Steck (2012): Is speculation to blame for rising food prices? A compilation of facts & findings, Allianz Economic Research and Corporate Development Working Paper, 18.06.2012.

5 Mayer, Jörg (2012): The Growing Financialisation of Commodity Markets: Divergences between Index Investors and Money Managers, in: The Journal of Development Studies, Band 48, Ausgabe 6, S. 751-767, DOI: 10.1080/00220388.2011.649261.

6 Baffes, John (2011): The long-term implications of the 2007-08 commodity-price boom, in: Development in Practice, Band 21, Ausgabe 4-5, S. 517-525. DOI: 10.1080/09614524.2011.562488.

7 Gilbert, Christopher L. (2010): How to understand high food prices, in: Journal of Agricultural Economics, Band 61, S. 398-425. Gilbert, Christopher L. (2010): Speculative Influences on Commodity Futures Prices, 2006-2008, Discussion Paper 197, UNCTAD, Genf. Christopher L. Gilbert und Simone Pfuderer (2012): Index Funds Do Impact Agricultural Prices, Discussion Paper, 25. Mai 2012, London.

8 Henderson, Brian J., Neil D. Pearson und Li Wang (2012): New Evidence on the Financialization of Commodity Markets, 22. Juli 2013, zugänglich über http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.1990828.

9 Tang, Ke und Wei Xiong (2012): Index Investment and the Financialization of Commodities, in: Financial Analysts Journal, Band 68, Ausgabe 6, S. 54-74.

10 Basak, Suleyman und Anna Pavlova (2013): A Model of Financialization of Commodities, 10. Mai 2013, zugänglich über http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2201600.

11 Hernandez, Manuel und Maximo Torero (2010): Examining the Dynamic Relationship between Spot and Future Prices of Agricultural Commodities, zugänglich über: http://www.ifpri.org/sites/default/files/publications/ifpridp00988.pdf.

12 Main, Scott, Scott H. Irwin, Dwight R. Sanders und Aaron Smith (2013): How Could We Have Been So Wrong? The Puzzle of Disappointing Returns to Commodity Index Investments. Proceedings of the NCCC-134 Conference on Applied Commodity Price Analysis, Forecasting, and Market Risk Management. St. Louis, MO, zugänglich über http://www.farmdoc.illinois.edu/nccc134/conf_2013/pdf/Main_Irwin_Sanders_Smith_NCCC-134_2013.pdf.

13 Siehe dazu u. a. Oxfam (2012): Private Investment in Agriculture. Why it‘s essential, and what‘s needed. Oxfam Discussion Paper, 2. September 2012, zugänglich über: http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/dp-private-investment-in-agriculture-250912-en.pdf.

 

 

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