Was glauben Sie, wer bezeichnet die Welternährungsorganisation (FAO) als „Kathedrale der Grünen Revolution“? Der brasilianische Generaldirektor der FAO, José Graziano da Silva. In dieser Kathedrale der Grünen Revolution ist mit der ersten internationalen Konferenz der FAO zur Agrarökologie ein Fenster geöffnet worden. Ein Meilenstein, so Graziano. Die Konferenz fand vom 18.-19. September 2014 in Rom statt. Agrarökologie wird zwar seit Jahrzehnten praktiziert und wissenschaftlich erforscht, ist aber trotzdem vielen als Konzept nicht bekannt. Nicht selten wird es mit dem ökologischen Landbau gleichgestellt, was falsch ist, oder mit dem Konzept der „nachhaltigen Intensivierung“ (mehr mit weniger Ressourcen produzieren) verwechselt. Die Agrarökologie baut auf dem Erfahrungsschatz und dem traditionellen Wissen von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen auf.
Agrarökosysteme sind vielfältig und komplex
Agrarökologie ist kein „one size-fit’s all“ Ansatz. Die Agrarökosysteme sind lokal so unterschiedlich und komplex, dass es nicht den „einen“ Ansatz geben kann. Die Agrarökologie basiert auf der Anwendung von fünf ökologischen Prinzipien. Sie umfassen u.a. das Recyceln von Biomasse, die Schaffung günstiger Bodenbedingungen, insbesondere durch die Erhöhung der organischen Substanz und Bodenaktivitäten, die Minimierung von Verlusten, z.B. durch das Management des Mikroklimas, Regenwassernutzung und Bodenbedeckung und die Förderung günstiger, biologischer Prozesse. Strategisch zentral ist dabei, die Vielfalt auf dem Feld und in der Landschaft wiederherzustellen. Ein wichtiges Ziel der Agrarökologie ist die Neubelebung der (klein-)bäuerlichen Betriebe und die Umgestaltung der Agrarpolitik und Ernährungssysteme in einer Weise, die wirtschaftlich tragfähig und sozial gerecht für Bauern und Bäuerinnen und Verbraucher/innen ist. Die Agrarökologie wird als Alternative zur industriellen Landwirtschaft verstanden.
Agrarökologie: eine Wissenschaft, eine Praxis und eine Bewegung
Mehrfach wurde unterstrichen, dass Agrarökologie eine Wissenschaft, eine Praxis und eine Bewegung ist. Peter Rosset von der Kleinbauernorganisation La Via Campesina erzählt, wie sich in den 1970er Jahren über „farmer to farmer“-Ansätze Agrarökologie zunächst in Mexiko, dann in Honduras, Nicaragua und Kuba verbreitet hat. Ende der 1970er Jahre wurde Agrarökologie auch in Brasilien eingeführt. Hier waren es Agronomen und Studenten. Darunter auch der heutige Generaldirektor der FAO Graziano da Silva, erzählt Irene Cardoso von der „Brasilianischen Vereinigung der Agrarökologie“. So ist denn auch Brasilien das erste Land mit einem nationalen Agrarökologie-Plan (Plano Nacional de Agroecologia e Produção Orgânica, PLANAPO). Die Umsetzung begann im Oktober 2013. In Brasilien produzieren Kleinbauern und Kleinbäuerinnen 70 Prozent der Lebensmittel. Gleichwohl kritisiert Irene Cardoso, dass die Macht des Agrobusiness eines der größten Hindernisse für die Ausweitung der Agrarökologie ist.
Agrarökologie erhöht die Resilienz
Dabei bietet Agrarökologie insbesondere in Zeiten des Klimawandels ein großes Potenzial. Beispielsweise kann laut Irene Cardoso Arabica-Kaffee auch bei einer Klimaerwärmung weiter in Brasilien angebaut werden, weil man durch Agroforstsysteme den Temperaturanstieg ausgleichen kann. Auf die größere Widerstandsfähigkeit des ökologischen Landbaus weist auch Andre Leu von IFOAM hin. Weil mit agrar-ökologischen Anbauverfahren bewirtschaftete Böden Wasser besser absorbieren und speichern können, sind sie sowohl gegen Dürre als auch gegen Überschwemmungen besser gewappnet. Eine Langzeitstudie der FAO zum Einsatz von Kompost über sieben Jahre habe zudem laut Leu ergeben, dass die Erträge höher waren als beim Einsatz von Düngemitteln. Auch Graziano unterstrich, dass agrarökologische Betriebe genauso hohe Erträge wie konventionelle Betriebe erwirtschaften können und dabei noch zusätzliche Nutzen lieferten.
Um der Agrarökologie zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen. Hierbei müssen insbesondere Frauen einbezogen werden. Ein Scaling-up der Agrarökologie ist möglich! Die Zeit ist reif für eine ökologisch und sozial nachhaltige Neuausrichtung der Landwirtschaft, wie sie der Weltagrarbericht gefordert hat.
2 Kommentare
Manfred Beier 05.10.2014
Was sollte mit der „Grünen Revolution“ eigentlich erreicht werden? Bekämpfung des Hungers durch Steigerung der Flächenerträge mittels verbessertem Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel – aber auch Erschließung riesiger Märkte für diese inputs, gewaltige Umsätze und Gewinne für Firmen der Industrieländer. Es war schließlich die Zeit der Entkolonialisierung, eine Zeit der Umbrüche und Unsicherheiten, aber auch der Chancen: Ein Meilenstein für schnell wachsende Firmen tätig in der industriellen Landwirtschaft, aber günstig auch für die reicheren Bauern in den Ex-Kolonien mit überdurchschnittlichem Landeigentum.
Die „Grüne Revolution“ konnte zwar mittelfristig die drohenden Hungersnöte verhindern, aber mit deutlichen Nachteilen für die Entwicklung der armen Länder. Die Kluft zwischen Armen und Reichen wurde vergrößert als die Verteilung des Eigentums ungünstiger wurde. Seit der „Grünen Revolution“ flossen zu große Teile der EZ an die Wohlhabenderen, die Zeche zahlten aber oft die Kleinbauern und die Landlosen. Die „Grüne Revolution“ war die erste weltweit wichtige Umwälzung der industriellen Landwirtschaft und sie leitete einen Konzentrationsprozess der in der Landwirtschaft tätigen Unternehmen ein, der es heute - etwa 50 Jahre später - Monsanto erlaubt, eine neue Dimension der Marktmacht zu erreichen als es der Firma gelang, die amerikanischen Getreide-Bauern landesweit mittels des Justizapparates zu zwingen, heute nur noch Monsanto Gen-Saatgut anzubauen.
Nicht erst im letzten Jahrhundert sondern schon seit vielen Jahrhunderten vorher hatten Kleinbauern den Umgang mit den Tausenden unterschiedlichen Anbau-Bedingungen verbessert um ihr Überleben zu sichern. Sie schufen eine Vielzahl angepasster Pflanzen, Tierrassen und Landnutzungssysteme. Dass sie erfolgreich waren, zeigt seit langem die Anwendung der Bewässerung im Reisanbau, um nur eines der vielen bekannten Beispiele zu nennen. Entwicklung fand statt weniger durch Studien sondern durch „trial and error“ von Kleinbauern, denen Bildung versagt wurde. Auch heute noch kann der aufmerksame Beobachter viele Beispiele für die Innovationsfähigkeit der Kleinbauern finden. Davon ein weiteres Beispiel: Einem Orangen-Bauer in Tansania wurde vorgeschlagen, die vielen von Ameisen durch zusammen gesponnene Blätter geformten Nester zu zerstören und die Ameisen chemisch zu vernichten. Der Bauer lehnte entsetzt ab. Orangenspezialisten stellten später erstaunt fest, dass die kleine Plantage schädlingsfrei war, obwohl Spritzmittel seit Jahren nicht erhältlich waren. Die Ameisen waren Insektenfresser! Die Vielfalt der weltweiten Anbaubedingungen ist so groß, dass kein noch so gut ausgebildeter Agrarforscher aus den Industrieländern bei seinen kurzen Besuchen darüber urteilen kann.
Wer immer sich für die Entwicklung der Armen einsetzt muss nicht nur Steigerung des Wachstums, ökologischen Landbau, Sicherung der Nachhaltigkeit oder gar „nachhaltige Intensivierung“ anstreben - alles notwendige, sinnvolle und zumindest teilweise sehr erfolgreiche Techniken. Aber hier geht es um Entwicklungsprozesse und deshalb ist ihr Entwicklungspotential noch wichtiger für die Beurteilung der Agrarökologie. Menschen können sich nur selbst entwickeln, und sie müssen selbst bestimmen, wohin und wie sie sich entwickeln wollen. Externe können sie zwar beraten und fördern, entscheiden aber müssen sie selbst. Afrikanische KleinbäuerInnen sind dazu sehr wohl in der Lage und sie beweisen dies durch eine Vielzahl von Innovationen für gut an die Umwelt angepasste Systeme von Mischkulturen, Absicherung gegen Dürren, Züchtung angepasster Nutztierrassen, Terrassierung, etc. Die Probleme, die sie allein nicht bewältigen können sind meistens externer Art, beispielsweise Transport- und Vermarktungsprobleme oder fehlende Finanzierungsmöglichkeiten für sinnvolle Rationalisierung und Intensivierung. Unsere externen Experten können nur selten dabei helfen, sie sind zwar gut ausgebildet, aber nicht dafür.
Nach einem halben Jahrhundert der Förderung der lokalen Eliten ist unübersehbar, dass wir so die Unterentwicklung nicht überwinden können. Selbst die Schwellenländer haben einen unakzeptabel hohen Anteil an chancenlosen Armen. Trotz weltweiter Anstrengungen zur Armutsminderung steigt deren Zahl ständig weiter. Es ist wenig wahrscheinlich, dass weitere Förderung der Bessergestellten den Armen jemals zugute kommen würde. Das Entwicklungspotential armer Länder liegt eher bei den bisher zu sehr vernachlässigten Frauen, Kleinbauern und ihren Kindern, die noch kaum Zugang zu Bildung hatten. Bei ihnen muss Armutsminderung endlich direkt ansetzen, denn ein zu geringer Teil der Mittel der EZ kam bisher bei Ihnen an. Förder-Organisationen müssen endlich glaubwürdig nachweisen, wie viel der zur Verfügung gestellten Mittel letztlich bei den Armen ankam. Dafür sind erfolgreiche Methoden seit Ende der 70er Jahre bekannt, und weit mehr werden grade entwickelt und getestet, u.a. cash transfers.
Ja, die Zeit ist in der Tat reif für eine ökologisch und sozial nachhaltige Neuausrichtung der Landwirtschaft. Erfreulicherweise gibt es inzwischen viele Ansatzpunkte, um die Entwicklungschancen der Agrarökologie zu verbessern. So hat sich etwa die FAO 2006 im Zusammenhang mit dem Pestizid-Risikomanagement für ein schrittweises Verbot hochgefährlicher Pestizide ("progressive ban of highly hazardous pesticides") ausgesprochen (siehe hierzu: http://www.pan-germany.org/download/Pestizid-Vergiftungen_stoppen.pdf). Diese erstmalig sehr unverblümte Politikansage der FAO zum Chemieeinsatz in der Landwirtschaft kann ein wichtiger Baustein sein, um die Macht des Agrobusiness einzudämmen und agrarökologische Ansätze im Landbau zu stärken - zumindest wenn möglichst viele Akteure dies aufgreifen, einfordern und selbst umsetzen. Denn: Eine Entgiftung der Landwirtschaft ist mit dem chemischen Pflanzenschutz nicht möglich, nur mit einem agrarökologischen Umbau.