Systemrelevante Jobs werden in der Corona-Krise in Deutschland mit einem Bonus belohnt – statt einer angemessenen Bezahlung. Das ist zynisch. Schließlich ist seit Langem klar: Pflegekräfte und Mitarbeiter*innen in Supermärkten werden schlecht bezahlt, arbeiten unter ständigem Stress und im Moment auch noch unter hohem Risiko.
Dieser permanente Druck setzt sich entlang der gesamten Lebensmittel-Lieferkette fort. Oberste Prämisse dabei: Unser Essen muss billig sein, nicht preiswert. Denn sein Preis darf genau nicht seinem Wert entsprechen – es muss in erster Linie profitabel sein. Von dieser Ungleichheit sind vor allem Menschen betroffen, die dafür sorgen, dass Ananas, Bananen, Kaffee & Co. überhaupt in unseren Supermarktregalen landen.
Kein Lohn, kein Wasser, keine Hygiene
Kurz nach Ausrufung der Schutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie erreichten Oxfam beunruhigende Nachrichten aus allen Kontinenten, die bislang wenig Resonanz gefunden haben. Die Teepflücker*innen in Assam in Indien durften zwei Wochen lang nicht arbeiten und viele erhielten entgegen der Regierungsanordnung keinerlei Lohn. Da sie über keinerlei Ersparnisse verfügen, zog das Hunger nach sich.
Nach einer von Oxfam erstellten Untersuchung fehlt es in den meisten Siedlungen der Arbeiter*innen auf den Teeplantagen an grundlegenden hygienischen Bedingungen und sauberem Trinkwasser. Da erscheint die Aufforderung zum regelmäßigen Händewaschen fast zynisch. Oxfam hat zusammen mit der internationalen Landarbeitergewerkschaft IUF die beiden größten deutschen Teehandelsunternehmen, Ostfriesische Teegesellschaft und Teekanne, auf die Situation hingewiesen.
Vorerkrankungen durch Pestizideinsatz auf Weinplantagen
Mangelnde Hygiene und fehlende Gesundheitsversorgung auf den Exportfarmen für Wein und Obst sind die größten Probleme. Dies ist besonders bedrohlich, weil viele Arbeiter*innen durch den massiven Pestizideinsatz auf Südafrikas Weinplantagen an Vorerkrankungen wie Asthma oder Allergien leiden.
Nicht anders sieht das in Ecuador aus, dem größten Bananenlieferanten für den deutschen Markt. „Bananenarbeiter sind durch den langjährigen Pestizideinsatz und etwaigen damit verbundenen Beeinträchtigungen, besonders der Atemwege und der Lunge, womöglich stärker gefährdet als andere Personen, was den Krankheitsverlauf nach einer Infektion betrifft,“ analysiert Prof. Hans-Petter Hutter, Arbeitsmediziner von der Universität Wien. „Ihr Immunsystem ist möglicherweise dauerhaft etwas geschwächt. Die Bananenarbeiter können als Risikogruppe bezeichnet werden.“
Forderung nach besserem Schutz der Arbeiter gegen COVID-19
Erhöhte Vorsorgemaßnahmen auf den Plantagen wären nun nötig. Doch dafür fehlt angesichts des enormen Preisdrucks, den u.a. deutsche Supermärkte erzeugen, häufig das Geld. Zudem steckt das besonders heftig von Corona getroffene Ecuador ökonomisch in einer fundamentalen Krise. Die Bananenarbeiter-Gewerkschaft ASTAC fordert deshalb: „Die Bananen produzierenden Länder sollten gemeinsam einen gerechteren Handel für unsere Bananen mit einem Zugewinn für die Beschäftigten einfordern. Darüber hinaus schlagen wir den Käufern der ecuadorianischen Bananen, insbesondere den europäischen und nordamerikanischen Supermärkten, die Zahlung eines zusätzlichen Entgeltes vor, um einen besseren Schutz der Arbeiter gegen COVID-19 zu finanzieren.“
Inzwischen ist in Südafrika die Hauptsaison beendet – Europa produziert nun langsam eigenes Obst – und die zahlreichen Tagelöhner*innen, in ihrer großen Mehrheit Frauen, wurden wie üblich nach der Ernte entlassen. Und in zahllosen von Women on Farms Project dokumentierten Fällen erhalten sie nicht einmal ihre eigenen Beiträge, die sie in das karge Arbeitslosensystem UIF gezahlt haben. Dessen Büros sind für den Publikumsverkehr geschlossen, schriftliche Anträge bleiben unbeantwortet. Elend und Hunger sind in die Häuser der Frauen eingezogen, von denen viele alleinerziehende Mütter sind.
Billiglöhne unter krassen Arbeitsbedingungen
Auch in Deutschland galt zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen: je billiger, desto besser. Auf der einen Seite wurden die Außen- und Binnengrenzen der EU geschlossen, auf der anderen Seite wurden Sonderflüge für Wanderarbeiter*innen für die Spargelernte durchgesetzt. Etwa 60 Prozent der Arbeitskräfte in der deutschen Landwirtschaft kommen aus dem Ausland. Denn kaum ein*e Deutsche*r will für solche Billiglöhne unter diesen krassen Arbeitsbedingungen schuften.
Anstatt diese zu ändern, werden Migrant*innen eingeflogen, bekanntlich auch mit der Konsequenz diverser Corona-Fälle in Arbeiterbehausungen oder auf Schlachthöfen. Die Sonderangebote im Supermarkt haben ihren Preis. Und hier zeigt sich deutlich: Die Lebensmittelbranche ist offensichtlich systemrelevant, doch nicht nur in den Läden von Aldi, Edeka, Kaufland, Lidl oder Rewe, sondern auch – und gerade – in der Produktion. Nur wollen politisch und wirtschaftlich Verantwortliche dies nicht honorieren.
Schwäche unseres Ernährungssystems
„Die COVID-19 Pandemie zeigt die Schwäche unseres Ernährungssystems, das dadurch charakterisiert ist, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen für den Großteil der weltweit in der Landwirtschaft Arbeitenden fehlen“, schreibt die internationale Landarbeitergewerkschaft IUF. Dabei gibt es zu wenige Strukturen, die dieses Unrecht aufgreifen könnten. „Gewerkschaftsrechte werden häufig eingeschränkt oder unterdrückt; wenige Arbeiter*innen in der Landwirtschaft sind von Tarifverträgen abgedeckt. Nur fünf Prozent der Arbeiter*innen haben Zugang zu Arbeitsinspektionen oder einem rechtlichen Schutz ihrer Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit.“
Oxfam hat alle großen deutschen Supermarktketten auf die extreme Situation von Beschäftigten in ihren Lieferketten des globalen Südens hingewiesen und Präventivmaßnahmen angeregt. Einzelne Unternehmen haben darauf positiv reagiert, andere nicht. Hier zeigt sich das Problem freiwilliger Regelungen.
Forderung nach Lieferkettengesetz aktueller denn je
Nicht anders sieht es bei der Entwicklung unternehmensinterner Regelungen zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten aus. Wir konnten sehen, dass Lidl hier kürzlich relevante Fortschritte gemacht hat – nach gut einem Jahrzehnt von Protesten, Verbraucher*innen-Kritik, Informationen von Menschenrechtsverletzungen bei seinen Lieferanten von Ananas oder Bananen und einem intensiven Austausch mit Oxfam-Fachleuten. Doch blickt man etwa in die veröffentlichten Dokumente der Konzern-Schwester Kaufland (Teil der Schwarz-Gruppe, der größten Supermarktkette Europas), findet man hier keine der bei Lidl erreichten Fortschritte.
Daher ist die Forderung nach einem verbindlichen Lieferkettengesetz, wie es vor der Corona-Krise auch in der Bundesregierung diskutiert worden ist, immer noch aktuell. Wer eine Flasche Wein aus Südafrika, eine Banane aus Ecuador oder ein Päckchen Tee aus Assam hier anbietet, muss die Verantwortung für die Einhaltung grundlegender Menschenrechte bei der Produktion dieser Nahrungsmittel verbindlich übernehmen. Hierzu gab es vor Corona einen wachsenden Konsens. Gerade jetzt, wo die Beschäftigten in den globalen Lieferketten besonders gefährdet sind, sind ihre Rechte nicht weniger schützenswert als vorher.
3 Kommentare
Essen darf nicht billig sein. Es bedarf menschenwürdiger Arbeitsbedingungen mit Schutz vor Pestiziden und fairem Lohn. Deshalb benötigen wir ein Lieferkettengesetz.
Bitte sorgen Sie dafür, das es menschliche Arbeitsbedingungen überall gibt und faire Löhne gezahlt werden,mit denen Familien menschenwürdig leben und eine Zukunft für ihre Kinder sichern können.
Nur dann wird auch der Flüchtlingsdruck auf Europa abnehmen.
Wer will denn freiwillig seine Heimat verlassen, wenn man dort gut und sicher leben kann. Und dafür ist auch eine sichere finanzielle Basis notwendig.
Mit freundlichen Grüßen
Gisela und Ulrich Locherer
Diese Ausbeutung ist extrem inhuman und unserer Gesellschaft nicht würdig: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ muss überall gelten!