Der Bericht zeigt, wie Menschen, die in den vergangenen zwei Monaten aus der Ukraine nach Griechenland geflohen sind, rasch Schutz sowie Zugang zur Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt erhalten haben. Die griechische Regierung hat außerdem damit begonnen, Unterkünfte bereitzustellen und beim Kauf von Lebensmitteln zu unterstützen.
Im gleichen Zeitraum kam es mehrfach zu gewaltsamen sogenannten Pushbacks – also Zurückweisungen an den Grenzen – von Asylsuchenden aus anderen Ländern, darunter auch Kinder und schwangere Frauen, die festgehalten und per Boot auf kleine Inseln in einem Fluss an der türkischen Grenze gebracht wurden. Mitte März berichteten Asylsuchende, dass ein vierjähriges syrisches Kind auf tragische Weise ertrank, nachdem es bei einer dieser Aktionen aus einem Boot gefallen war.
Die griechische Regierung hat außerdem ein einfach durchzuführendes Online-Registrierungsverfahren für schutzsuchende Ukrainer*innen eingerichtet. Im Gegensatz dazu sind Asylanträge auf dem griechischen Festland für Menschen anderer Nationalitäten und Ukrainer*innen, die vor dem 26. November ins Land gekommen sind, äußerst kompliziert und das Verfahren sehr unzugänglich, heißt es in dem Bericht.
Ferner werden darin Fälle von Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufgezeigt, in denen Menschen aus der Ukraine von Regierungsbeamten als „echte Geflüchtete“ und andere Schutzsuchende als „illegale Einwanderer“ bezeichnet wurden. Es gab außerdem Berichte, nach denen afghanische Geflüchtete im Lager Serres in Nordgriechenland gezwungen wurden, die Container, in denen sie bisher untergebracht waren, zu verlassen und in einen baufälligen Teil des Lagers umzuziehen, um Platz für neu angekommene Ukrainer*innen zu machen.
„Das Asylsystem in Griechenland funktioniert überhaupt nicht, selbst die schutzbedürftigsten Menschen haben Schwierigkeiten, Zugang zu bekommen“, sagt Kleio Nikolopoulou, Jurist beim Griechischen Flüchtlingsrat. „Kürzlich hat unser Anwaltsteam in einem Fall interveniert, in dem der Betroffene eine Operation brauchte. Da er keinen Zugang zum Asylsystem hat, um einen Asylantrag zu stellen, hat er keine Papiere. In der Folge kann er weder medizinische Behandlung erhalten noch seine weiteren Rechte als Asylbewerber wahrnehmen.“
„Wir beobachten einen neuen Trend in der Evros-Region: Menschen werden auf Inseln ohne Nahrung und Wasser zurückgelassen“, sagt Stephanie Pope, EU-Migrationsexpertin von Oxfam. „Allein im vergangenen Monat gab es sechs solcher Fälle. Trotz eindeutiger Beweise hat die griechische Regierung nach einer zweifelhaften dreimonatigen Untersuchung durch eine Behörde kürzlich jegliche Vorwürfe über Pushbacks abgestritten. Und die EU verschließt weiterhin die Augen vor der Beteiligung von Frontex an Menschenrechtsverletzungen an den griechischen Grenzen.“
Die Reaktion der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten auf die Fluchtbewegung aus der Ukraine zeigt, dass es eine Frage des politischen Willens ist, Geflüchteten menschenwürdige Bedingungen und Schutz zu bieten – ein Wille, der in den vergangenen Jahren fehlte.
„Rund 6.000 Kinder aus der Ukraine sind inzwischen nach Griechenland geflohen. Das rasche Handeln der EU und der griechischen Regierung zum Schutz von Kindern, die vor der Gewalt in der Ukraine fliehen, sollte die Norm sein, nicht die Ausnahme“, sagt Daniel Gorevan, Advocacy Advisor bei Save the Children. „Stattdessen hat die positive Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine zu einer Zweiklassengesellschaft geführt: Kinder aus Syrien, Afghanistan, Somalia oder anderen Ländern werden gewaltsam zurückgedrängt, erhalten nur begrenzte oder gar keine Leistungen und werden von der Regierung als ,illegal‘ stigmatisiert.“
Die humanitären Organisationen fordern dringende Maßnahmen der Europäischen Union und Griechenlands, um diese Kluft zu überwinden. Diese sollten Folgendes beinhalten:
- den Verzicht auf diskriminierende Rhetorik und Praktiken, die zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Menschen anderer Nationalitäten unterscheiden;
- das Verbot der Zurückweisung (Non-Refoulement) muss aufrechterhalten und der Zugang zum griechischen Hoheitsgebiet für alle Asylsuchenden gewährleistet werden;
- die Ablösung des derzeitigen Systems zur Stellung von Asylanträgen durch eine bessere Alternative, nach dem Vorbild der für ukrainische Geflüchtete eingerichteten Onlineplattform;
- die Gewährleistung einer wirksamen Untersuchung aller Vorwürfe über Pushbacks durch die griechischen Behörden sowie der Rolle von Frontex bei solchen Operationen.
Hinweise für die Redaktion:
- Das gemeinsame Papier von Griechischem Flüchtlingsrat, Oxfam und Save the Children können Sie hier lesen.
- Bis zum 19. April kamen rund 21.028 Geflüchtete aus der Ukraine in Griechenland an, fast ein Viertel von ihnen sind Kinder (5.975).
- In einem Bericht von Oxfam und dem Griechischen Flüchtlingsrat vom März 2022 werden die neuen, von der EU finanzierten gefängnisähnlichen Zentren (so genannte Closed Controlled Access Centers) ausführlich beschrieben.
- In sechs Fällen binnen zwei Monaten wurde Griechenland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgefordert einzugreifen, um Menschen zu retten, die die Regierung auf den Inseln des Evros zurückgelassen hatte.
- Die Griechische Nationale Behörde für Transparenz (Greek National Transparency Agency) gab im März bekannt, dass es keine Beweise für eine Beteiligung der griechischen Küstenwache an Pushbacks gebe. Dies steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) sowie einer achtmonatigen Recherche eines Journalistenkonsortiums von zehn Medienplattformen. Diese berichten von einem „System“ illegaler Zwangsrückführungen von Asylsuchenden in Griechenland und Kroatien sowie der direkten Beteiligung von Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte.