Die soziale Herkunft bestimmt über Chancen

Wir leben in einer Welt, in der die soziale Herkunft immer noch in großen Teilen darüber bestimmt, welche Lebenschancen wir haben. Darin sind wir uns einig, obwohl wir aus ganz unterschiedlichen Familien kommen. Für eine von uns hat ihre Geburt vorbestimmt, dass es ihr und ihrer Familie sehr gut gehen wird. Als weiße, wohlhabende Person auf die Welt zu kommen, bedeutet in unserer Gesellschaft immer noch, die besten Möglichkeiten zu haben, ein gutes Leben zu führen.

Die andere dagegen hat von ihren aus der Türkei eingewanderten Eltern keine einflussreichen Kontakte oder Netzwerke an die Hand bekommen, die bei der Suche nach Praktika oder Arbeitsstellen hätten helfen können. Sie hat immer wieder erlebt, wie ihr aufgrund ihres familiären und sozialen Hintergrundes eine Laufbahn nahegelegt wurde, die nicht ihre eigene Wahl gewesen wäre.

Eine Vermögenssteuer schafft mehr soziale Gerechtigkeit

Eine der wichtigsten Aufgaben einer Gesellschaft ist es, dafür zu sorgen, gute und existenzsichernde Lebensumstände für alle Menschen zu bieten und zwar unabhängig von der Geburt und sozialen Schicht, in die ein Mensch geboren wird. Für gute Lebensbedingungen braucht es aber nicht nur soziale Sicherung, sondern auch Bildungschancen und einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen.

Hier stehen wir vor großen Herausforderungen. Die gute Nachricht lautet: Viele könnten wir mit einer Vermögenssteuer für Superreiche besser oder schneller lösen, wenn die Regierung das damit eingenommene Geld gut verteilt. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung müsste sie zahlen. 

Wenn wir über Superreiche sprechen, sind das in Deutschland etwa 200.000 Personen – nur 0,24 Prozent der Gesamtbevölkerung. Eine Vermögensteuer von bis zu fünf Prozent für Menschen mit einem Vermögen ab rund fünf Millionen Euro, wie Oxfam sie vorschlägt, würde rund 85 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Das wäre kein politisches Experiment. Bis 1996 gab es in Deutschland eine Vermögenssteuer.

Steuergeld könnte und sollte völlig anders verteilt werden

In den Debatten zum geplatzten Bundeshaushalt hieß es trotzdem immer wieder: „Wir müssen kürzen“. Gekürzt werden muss, je nachdem, wen man fragt, bei der sozialen Infrastruktur, im Kulturbereich oder bei der humanitären Hilfe. Es bleibt uns rätselhaft, warum das immer wieder so behauptet wird. Verteilungsentscheidungen über Steuergelder können auch anders getroffen werden.

Zu behaupten, man müsste kürzen, ist eine Lüge. Das macht mich rasend. Dieses System haben wir gemacht und wir können es ändern.
Marlene Engelhorn

Denn einerseits hat der Haushalt ein Riesenloch, und gleichzeitig gibt es Steuersubventionen für Hochvermögende, die nicht tragbar sind. Ein Beispiel ist die Erbschaftssteuer. Wer mehr als 300 Wohnungen erbt, gilt automatisch als Unternehmen und ist von der Erbschaftssteuer befreit. Doch vermögende Menschen brauchen keine steuerlichen Entlastungen und Privilegien. Sie steuern bereits weniger zum Gemeinwohl bei als Menschen, die arbeiten.

Reiche ziehen größeren Vorteil aus dem ungerechten Steuersystem

Unternehmerinnen und Unternehmer mit hohen Vermögen profitieren überproportional von öffentlicher Infrastruktur. Sie brauchen Straßen und Schienen, ohne die sie ihre Güter nicht transportieren könnten. Sie brauchen öffentliche Schulen, die ihre Fachkräfte ausbilden. Und sie brauchen ein öffentliches Gesundheitswesen, damit die Fachkräfte, wenn sie krank sind, gut behandelt werden und schnellstmöglich wieder in den Job zurückkommen. Es ist schlicht ungerecht, dass Hochvermögende dann proportional so wenig zum Gemeinwohl beitragen.

Einkommen und Lohn werden beispielsweise im Schnitt höher besteuert als das Vermögen von wenigen Privilegierten. Mittelstandsfamilien in Deutschland zahlen etwa 43 Prozent Steuern und Abgaben, Multimillionärinnen und -millionäre nur 29 Prozent und Milliardärinnen und Milliardäre sogar nur 26 Prozent. Viele Menschen finden das nicht gerecht.

Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage von Anfang Juli sprechen sich inzwischen 62 Prozent der Deutschen für eine Vermögensteuer aus. Bei welchem anderen Thema gibt es solche Zustimmungswerte?
Serap Altinisik

Trotzdem wird politisch wenig unternommen. Warum?

Menschen mit geringem Einkommen brauchen eine stärkere Lobby

Superreiche und ihre Konzerne haben große Macht. Wegen ihres starken Lobbyeinflusses trifft die Politik verstärkt Entscheidungen zugunsten wohlhabenderer Bevölkerungsschichten. Aktuelle Forschung legt jedoch nahe, dass die Unterrepräsentation von Menschen mit geringen Einkommen und Vermögen im politischen Prozess zu einer mangelnden Wahrnehmung ihrer Perspektiven führt.

Beispielsweise hat die Stiftung Familienunternehmen dank ihrer Lobbyarbeit im Jahr 2016 beim Erbschaftsteuerrecht aktiv mitschreiben dürfen. Hier zeigt sich konkret, wie die extreme Vermögensungleichheit die Demokratie gefährdet. Die großen Vermögen beruhen vor allem auf dem Besitz von Konzernen. Die damit einhergehende wirtschaftliche Macht führt zu einer politischen Macht. Das reichste Prozent nimmt Einfluss auf die Gesetzgebung, weil es sich leisten kann, Lobbyist*innen in die politischen Entscheidungszentren zu schicken.

Reiche Menschen werden ihren Einfluss nicht von sich aus abgeben. Wir müssen Wege finden, dass nicht einige Wenige es deutlich leichter haben, ihre Anliegen durchzusetzen, als der große Rest. Man könnte zum Beispiel Parteispenden limitieren, Lobbyaktivitäten transparent machen und Quotenregeln für Parteien und Parlamente einführen, damit zum Beispiel ärmere Bevölkerungsschichten angemessen repräsentiert werden.

Vermögenssteuer könnte den finanziellen Spielraum vergrößern

Hier sind Politiker*innen besonders gefragt. Wenn die Anliegen von Lobbyorganisationen gehört werden, dann ist es auch die Aufgabe der Politik, sich mit der anderen Seite auseinanderzusetzen. Deswegen brauchen wir eine andere Lobbykultur. Denn der Teufelskreis aus Konzernmacht und politischer Macht treibt die soziale Ungleichheit immer stärker voran.

Eine bessere Umverteilung der finanziellen Ressourcen in Deutschland ist möglich. Die Forderungen nach Kürzungen im Bundeshaushalt führen in die völlig falsche Richtung. Es darf keine Kürzungen im sozialen Bereich, beim Klimaschutz oder der Entwicklungszusammenarbeit geben. Ganz im Gegenteil. Hier brauchen wir mehr Investitionen. Eine Vermögensteuer würde die dafür notwendigen Mittel bereitstellen.

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