Was macht eine demokratische Gesellschaft aus? Freie Wahlen und Medien, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung fallen vielen vermutlich schnell ein. Doch welche Themen spielen in der Politik überhaupt eine Rolle und warum? Das hat ganz wesentlich etwas damit zu tun, wie effektiv sich gesellschaftliche Interessen organisieren und artikulieren, etwa in Verbänden, Kirchen oder Gewerkschaften.

Auch Nichtregierungsorganisationen mischen in diesem Spiel der Kräfte mit. Getragen werden sie von dem sozialen Umfeld, in dem sie wurzeln, von ihren Mitgliedern, Spender*innen und Unterstützer*innen, die durch finanzielle Zuwendungen oder explizite Zustimmung zu Inhalten, politischen Aussagen und Aktionen ihr Tun legitimieren. Dabei sind sie auch ein Korrektiv zu Unternehmensinteressen, die häufig ein besonderes Gewicht haben, weil Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze Argumente sind, denen sich kaum ein*e Politiker*in verschließt.

Deshalb gelten in Deutschland für zivilgesellschaftliche Organisationen besondere Regeln: Klagerechte für Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, steuerliche Vorteile durch das Gemeinnützigkeitsrecht oder die öffentliche Verbändeförderung. Es ist Ausdruck demokratischer Reife, wenn eine Gesellschaft Organisationen fördert, die sich auch mit mächtigen Interessen anlegen, etwa der Autoindustrie oder von Supermarkt- und Energiekonzernen.

Angriff auf den demokratischen Konsens

Über viele Jahre war dies Teil des demokratischen Konsens, von ganz links bis weit ins konservative Spektrum. Doch seit einiger Zeit mehren sich Stimmen, die diesen Konsens aufkündigen und den Aktionsradius von zivilgesellschaftlichen Akteuren beschneiden wollen. Beispiele hierfür sind die Diskussion um die Gemeinnützigkeit von Organisationen wie Attac oder die jüngsten Angriffe gegen die Deutsche Umwelthilfe wegen ihrer Klagen für Dieselfahrverbote.

Aufhorchen ließ in diesem Zusammenhang ein Artikel in der Wirtschaftswoche vom 1. Februar 2019. Unter der Überschrift „Die Konterrevolution“ beschreibt dieser durchaus wohlwollend die Aktivitäten des 2014 von dem FPD-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler gegründeten Prometheus Instituts. Die Story: Wackere Liberale legen sich mit mächtigen NGOs an, die ohne politische Legitimation das Land nach ihren Vorstellungen modellieren, in denen der Staat viel und der Bürger wenig zu sagen hat. Im Visier der selbst ernannten Freiheitskämpfer: Greenpeace, Deutsche Umwelthilfe, Peta – und: Oxfam.

Bei der Lektüre gewinnt man den Eindruck, Deutschland befände sich im Griff von Nichtregierungsorganisationen. Das ist natürlich Unsinn. Zwar fehlt hierzulande ein zentrales Lobbyregister, doch was deutsche Unternehmen und Wirtschaftsverbände aufwenden, um in Parlamenten, Ministerien und Behörden ihre Interesse zur Geltung zu bringen, dürfte die finanziellen Mittel von NGOs deutlich übersteigen.

Unternehmen dominieren Lobbyaktivitäten

Das zeigt ein Blick in die EU, wo es entsprechende Transparenzregeln gibt: Rund 25.000 Lobbyist*innen sind dort mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro tätig, um Gesetze, Politik und öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die 20 Lobbyakteure mit den höchsten Lobbyausgaben vertreten fast ausschließlich Unternehmensinteressen. Alleine die Finanzindustrie beschäftigt in Brüssel rund 1.700 Lobbyist*innen. Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter geben dafür pro Jahr rund 120 Millionen Euro aus, 30 Mal so viel, wie Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen zusammen. Die massiven Lobbyaktivitäten von Unternehmen haben unter anderem dazu beigetragen, dass es noch immer keine Finanztransaktionssteuer gibt und deutsche Autobauer vor allzu klimafreundlichen Abgasvorschriften geschützt werden.

NGO Observer mit fragwürdigen Kriterien

Doch derlei millionenschwerer Einfluss zulasten von Bürger*innen und Verbraucher*innen ist dem Prometheus Institut kein Dorn im Auge. Anstoß nehmen Geschäftsführer Frank Schäffler und seine Mitstreiter (ja, außer einigen Praktikantinnen sind es alles Männer) vielmehr an der Arbeit bestimmter Nichtregierungsorganisationen. Deshalb haben sie vor einiger Zeit den so genannten NGO Observer (https://ngo.observer/) aus der Taufe gehoben. Die Kriterien, anhand derer sie Nichtregierungsorganisationen unter die Lupe nehmen, sind vor dem Hintergrund der beschriebenen Rolle von NGOs in einer Demokratie äußerst fragwürdig.

Überprüft werden die Organisationen daraufhin, ob sie gesellschaftliche Konflikte schüren, staatliche Unterstützung erhalten und ob sie auf „Zwang setzen, den staatliche Stellen ausüben“ – mit anderen Worten: gesetzliche Regelungen fordern oder vor Gericht ziehen. Ob Organisationen von Unternehmen gesponsert werden oder wie transparent sie agieren, scheint bei der Prüfung keine große Rolle zu spielen. Dazu passt, dass das Prometheus Institut in seinen Jahresberichten selbst keinerlei Aussagen zu seiner Finanzierung macht.

Was bringt der NGO Observer gegen die unter Beobachtung stehenden Organisationen konkret in Stellung? In vielen Fällen äußerst wenig. Bei Oxfam geht es vor allem um die Kritik an unserem jährlichen Bericht zur sozialen Ungleichheit, auf die wir mehrfach ausführlich reagiert haben, worauf der NGO Observer allerdings nicht hinweist. Bei anderen aufgelisteten Organisationen fehlen Kritikpunkt gänzlich. Man gewinnt den Eindruck, dass es vor allem darum geht, Zweifel an der Glaubwürdigkeit bestimmter NGOs zu säen, ganz unabhängig von konkreten Vorwürfen.

Entsprechend zeichnet Clemens Schneider, „Managing Director“ des Promotheus Instituts, in einem Gastbeitrag für die Welt ein Bild von Nichtregierungsorganisationen auf moralischen Abwegen und offenbart dabei ein bemerkenswert schlichtes Verständnis von Ausbeutung, Macht und Herrschaft. Die Welt lasse sich nicht in Gut und Böse scheiden, schreibt er, kein Industriemanager wolle die Umwelt zerstören oder fettleibige Kinder produzieren. Und kaum ein Reicher möchte, dass andere arm sind. Und weil es diese bösen Absichten nicht gebe, sei es auch vermessen, sich selbst als die Guten zu stilisieren, wie es NGOs wie Oxfam oder die Deutsche Umwelthilfe täten. Nötig sei ein Mentalitätswandel der NGOs, getragen von der Überzeugung, dass „die allermeisten Menschen das Gute wollen“. Ach, wäre die Welt doch nur so einfach …

Ideologisch motivierte Kritik

Grundsätzlich ist es selbstverständlich völlig legitim, sich kritisch mit der Arbeit von NGOs auseinanderzusetzen. Denn auch wir machen Fehler und müssen Rechenschaft über unser Tun ablegen. Klüngel oder Vetternwirtschaft werden jedenfalls nicht besser, wenn sie von den vermeintlich Guten praktiziert werden. Allerdings scheint die Kritik von Schäffler, Schneider und Co. stark ideologisch motiviert zu sein. Wenn jemand die hohe Moral bemüht, geht es meistens um handfeste Interessen. So auch hier.

Das Prometheus Institut setzt sich „für schrankenlose unternehmerische Freiheit ein. Staatliche Eingriffe zum Schutz der Verbraucher, der Arbeit oder der Umwelt werden als Bedrohung der Freiheit wahrgenommen und deshalb grundsätzlich abgelehnt. Auch Maßnahmen des sozialen Ausgleichs, die in einer sozialen Marktwirtschaft selbstverständlich sind, werden als unvereinbar mit einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung betrachtet.“ (https://lobbypedia.de/wiki/Prometheus). Das Institut ist Teil des Atlas Network, zu dessen Sponsoren ExxonMobile, Philip Morris sowie die Stiftungen der US-Milliardäre Charles G. Koch und David H. Koch gehören.

Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass der NGO Observer gerade solche Organisationen ins Visier nimmt, die sich als Gegenspieler von Unternehmensinteressen etabliert haben oder für eine strengere Regulierung von Unternehmen eintreten. Was den Leuten vom Prometheus Institut vorschwebt, ist keine „lebendige Zivilgesellschaft“, die es auf seiner Homepage als eines seiner Ziele reklamiert (https://prometheusinstitut.de/), sondern eine Beschränkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten – und zwar auf Bereiche, die die Geschäftsinteressen von Unternehmen nicht stören. Dieses Ziel kann man verfolgen, sollte das aber auch offen sagen – statt sich mit moralischem Gestus hinter dem Gemeinwohl zu verstecken.

7 Kommentare

Süß, da haben sich gleich mal der Chef des neoliberalen "Instituts" und vermutlich seine zwei Praktikanten zu Wort gemeldet. In den dystopischen Wunschträumen solcher Lobbyfiguren gibt es selbstverständlich NGOs, nur werden die von Konzernen und Milliardären finanziert und dienen nicht dem Gemeinwesen, welches zugunsten des "freien Marktes" sowieso privatisiert und abgeschafft werden soll.

Die neueste Strategie der Freiheitskämpfer für das Großkapital ist wohl, NGOs und zivilgesellschaftliche Initiativen (früher oder später dann auch Parteien) den neoliberalen PR-Flüsteren gleichzusetzen. Sind doch schließlich alles einfach nur gleichwertige Interessen und sicher wollen "wir" doch alle nur das Gute. Medial wird diese Strategie ja schon lange und leider häufig erfolgreich angewandt: Einfach so tun, als ob jede Lobbyforderung völlig legitim und relevant ist und Zusammenhänge ausblenden. Und schon klappt's etwa mit dem Abfeiern der neoliberalen Agenda-"Reformen".

Auf Kritik darf man natürlich reagieren. Aber man sollte schon sauber argumentieren. Das hier ist doch ein ziemliches Raunen, "gilt by association":

"Das Institut ist Teil des Atlas Network, zu dessen Sponsoren ExxonMobile, Philip Morris sowie die Stiftungen der US-Milliardäre Charles G. Koch und David H. Koch gehören."

Ob Prometheus von den genannten Sponsoren Geld bekommt, weiß der Autor ja gar nicht. Behauptet er auch nicht. Aber trotzdem werden die Namen in den Raum gestellt, wohl in der Annahme sie klingen böse und irgendwas bleibt schon hängen.

Damit wird genau die Kritik bestätigt, die in den Prometheus-Artikeln bei WELT und WiWo geäußert wird.

Anmerkung des Autors Steffen Küßner (28. Februar 2019):

@Justus: Ich behaupte in der Tat nicht, dass das Prometheus Institut Geld von diesen Unternehmen bekommt. Ich zeige nur auf, welche Ideologie es vertritt und welchen Interessen es nahe steht. Und dass die angestrebte Beschränkung der Arbeit von NGOs diesen Interessen dient. Ob man das unterstützenswert findet, soll jede*r selbst entscheiden.

Dass es in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft Organisationen gibt, die dem Staat und anderen Akteuren kritisch auf die Finger schauen, ist richtig und wichtig. Dass es Organisationen gibt, die wiederum diesen Organisationen kritisch auf die Finger schauen, ist die konsequente Fortsetzung dieses Prinzips. Aus welchem individuellen Interesse jemand das tut, ist dafür unerheblich.

Dass bei der Verwendung öffentlicher Gelder, also Gelder, die von uns allen für bestimmte Zwecke zwangsläufig abgeführt werden, ein höherer Maßstab an die Transparenz gilt, als bei privaten Geldern, liegt auf der Hand. "No taxation without representation", das ist eines der höchsten Prinzipien der Demokratie. Um über die Verteilung öffentlicher Gelder mitbestimmen zu können, ist es unerlässlich, zunächst Zugang zu den entsprechenden Informationen zu haben. Für die Legitimation eines demokratischen Systems ist diese Transparenz außerordentlich wichtig.

Grundsätzlich kann ich weder in Organisationen wie den kritisierten, noch in solchen wie den kritisierenden, etwas verwerfliches erkennen. Beide übernehmen wichtige Funktionen im demokratischen Prozess. Dass beide dabei auch Fehler machen bzw. diskussionswürdig handeln können, ist davon unbenommen.

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