Eine Mutter in Somalia verzichtet wieder auf eine Mahlzeit, damit ihre Kinder essen können. Ein Vater in Syrien arbeitet 13 Stunden lang und kann sich trotzdem nicht genug Nahrungsmittel für seine Familie leisten. Ein Vater in Niger sieht, wie seine Kinder hungrig zu Bett gehen.

Die Lebensmittelpreise, die bereits durch die Pandemie gestiegen sind, sind durch den Krieg in der Ukraine nochmals in die Höhe geschnellt: Die Weltbank schätzt den Anstieg auf schockierende 37 Prozent. Der Preis für Weizen ist zwischen April 2020 und Dezember 2021 um 80 Prozent gestiegen. In Syrien haben sich die Lebensmittelpreise im letzten Jahr verdoppelt.

Ungleichgewicht im Nahrungsmittelsystem und schädliche Anbaumethoden

Die Welt war schon vor der COVID-19-Pandemie von Hunger geplagt. Im Jahr 2020 hatten bis zu 811 Millionen Menschen – fast jeder Zehnte – nicht genug zu essen. Und nun steuert die Welt auf eine noch nie dagewesene Hungerkrise zu.

Viele wirtschaftlich benachteiligte Länder sind nicht in der Lage – und werden zudem durch ein ungerechtes globales Nahrungsmittelsystem oft daran gehindert – genügend Nahrungsmittel für ihre Bevölkerung zu produzieren. Sie sind stattdessen auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Der Grund dafür ist einfach: Nutzpflanzen anzubauen ist komplex. Die Gründe hierfür wiederum sind weniger einfach: Die vom Menschen verursachte Klimakrise verstärkt das Vorkommen von Überschwemmungen und Dürren. Heuschrecken vernichten Ernten, Konflikte zerstören Anbauflächen sowie Infrastruktur. Und die Menschen haben einfach nicht genug Geld, um Saatgut und Geräte für den Anbau von Nutzpflanzen zu kaufen.

Außerdem wird heute die Hälfte der weltweiten Anbauflächen für die Herstellung von Biokraftstoffen, Tierfutter und anderen Produkten wie Textilien genutzt. Viele dieser Pflanzen werden deshalb als Monokulturen angebaut, d. h. es wird nur eine Art von Pflanzen angebaut. Das wiederum führt zum Verlust von Artenvielfalt und entzieht dem Boden Nährstoffe. So wird nicht nur wertvolles Ackerland für den Anbau von Pflanzen genutzt, die nicht zur Ernährung der Bevölkerung beitragen. Auch die Anbaumethoden sind schädlich für die Umwelt und führen langfristig zu weniger Ernten.

Was die Abhängigkeit von Nahrungsmittelexporten für afrikanische Länder bedeutet

Die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten führt in den betroffenen Ländern auch dazu, dass sie stark von externen Schocks (z. B. unerwartete politische oder wirtschaftliche Krisen) beeinflusst werden. Fast die Hälfte der afrikanischen Länder importiert mehr als ein Drittel ihres Weizenbedarfs aus Russland und der Ukraine. Fünfzehn Länder, darunter Libanon, Ägypten und die Demokratische Republik Kongo, importieren sogar mehr als die Hälfte ihres Bedarfs. Und in Somalia – wo die schlimmste Dürre seit über 40 Jahren hungerähnliche Zustände auslöste – kommt fast die Hälfte des Weizens aus Russland und der Ukraine.

Abdulahi Farah Isse steht, bekleidet mit einem weißen Shirt und einem grauen Wickelrock, auf einem sehr trockenen Boden. Im Hintergrund ist seine Unterkunft zu sehen.
Der Viehhirte Abdulahi Farah Isse steht vor seinem Haus in Puntland (Somalia). Durch die wiederkehrenden starken Dürreperioden hat er einen Großteil seines Viehbestands verloren und damit auch seine Haupteinnahmequelle.

Deshalb treffen die steigenden Lebensmittelpreise wirtschaftlich benachteiligte Länder wie ein Vorschlaghammer. 42 Prozent des Weizenbedarfs im Jemen wurden noch in den drei Monaten vom 20. Dezember 2021 bis zum 6. März 2022 aus der Ukraine importiert, bestätigt eine von Oxfam befragte Quelle. Eine Woche nach Beginn des Krieges in der Ukraine stiegen die Weizenpreise im kriegsgebeutelten Jemen um 24 Prozent an. Die Vereinten Nationen haben erklärt, dass die ohnehin schon schwere Hungerkrise im Land kurz davor ist, sich in eine Katastrophe zu verwandeln. Lektion gelernt: Abhängigkeit ist gefährlich.

Keine kurzfristigen Lösungen

Es ist verrückt, die gleichen Fehler zu wiederholen und andere Ergebnisse zu erwarten. Die Befürworter*innen einer großflächigen, intensiven industriellen Landwirtschaft sprechen sich wieder einmal dafür aus, die weltweite Produktion hochzufahren. Doch das ist keine Lösung. Die Landwirt*innen weltweit produzieren genügend Lebensmittel, um damit die Weltbevölkerung zu ernähren. Und in den letzten Jahren wurden weltweit sogar Rekordernten in der Getreideproduktion verzeichnet. Das Hauptproblem ist der Zugang zu Nahrungsmitteln, nicht deren Verfügbarkeit. Wir brauchen Veränderungen im System, keine kurzfristigen Lösungen.

Während der weltweiten Nahrungsmittelkrise 2007-2008 verdoppelten sich die Preise für Weizen und Reis fast: 100 Millionen Menschen wurden dadurch in die Armut getrieben und 2009 waren über eine Milliarde Menschen von Hunger betroffen. Damals reagierten die Regierungen nur mit kurzfristigen Lösungen. Die Reaktionen auf politischer Ebene beinhalteten entweder einmalige Initiativen über einen kurzen Zeitraum oder konzentrierten sich auf das falsche Ziel – die Steigerung der Produktion und Investitionen in den Privatsektor. Diese Maßnahmen bewirkten jedoch nichts anderes, als die bereits bestehenden Probleme im globalen Ernährungssystem zu überdecken: Es ist ein System, das für uns Menschen und die Erde keine nachhaltige Lösung darstellt.

Regierungen müssen finanzielle Mittel bereitstellen

Wir müssen erkennen, dass die tatsächlichen Ursachen für Hunger in der extremen, weltweiten Ungleichheit liegen. Die Regierungen müssen dringend die Lücke zwischen dem, was sich die Menschen leisten können, und den Preisen für die von ihnen benötigten Lebensmittel schließen. Es werden mehr finanzielle Mittel benötigt, um die Menschen, die in der ganzen Welt von extremen Hunger betroffen sind, zu unterstützen. Allerdings sollten die Regierungen der Geberländer deshalb nicht das Hilfsbudget kürzen, das für Krisen in wirtschaftlich benachteiligten Ländern vorgesehenen ist, um Unterstützung in der Ukraine leisten zu können. Dänemark hat dennoch genau aus diesem Grund seine finanziellen Hilfsmittel für Mali, Syrien und Bangladesch bereits gekürzt. Schweden ist diesem Beispiel gefolgt.

Aber: Kein Leben ist mehr wert als das andere. Die wirtschaftlich priviligierten Länder haben zu Recht Billionen von US-Dollar ausgegeben, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Nur ein Bruchteil davon wäre nötig, um zu gewähleisten, dass alle Menschen weltweit etwas zu essen haben. Aber die Regierungen müssen noch viel mehr tun als das: Sie müssen in eine nachhaltige Zukunft für alle investieren, in der kleinbäuerliche Landwirtschaft eine Schlüsselrolle spielt.

Ein ungleiches System aufbrechen: Besserer Zugang zu Ressourcen und eine gerechte Verteilung von Land

Kleinbäuerliche Familienbetriebe ernähren ein Drittel der Weltbevölkerung. In Asien und in Subsahara-Afrika produzieren sie mehr als 70 Prozent der Nahrungsmittel. Hätten diese Landwirte und Landwirtinnen einen besseren Zugang zu Land, Wasser, Finanzmitteln, Infrastruktur sowie Märkten und dürften ihre Rechte ausleben, könnten sie noch viel mehr Nahrungsmittel produzieren. Sie sind es, die dazu beitragen können, Armut und Hunger zu reduzieren.

Idabo trägt ein lila Kleid und unterhält sich mit einer Person (blaues Kleid). Im Hintergrund ist eine trockene Landschaft und Teile des Camps zu sehen.
Idabo* unterstützt täglich somalische Menschen, die aufgrund der Klimakrise in ein Geflüchteten-Camp Nahe Oog, Somaliland fliehen mussten. Viele von ihnen leben von kleinbäuerlicher Landwirtschaft und Viehzucht. Idabo weiß, dass diese Menschen unbedingt eine Chance bekommen müssen, sich ihren Lebensunterhalt neu aufzubauen.

Als logische Konsequenz müssen deshalb vor allem die Klimakrise und die ungleich verteilten Auswirkungen dieser Krise ernsthaft angegangen werden. Denn die Menschen in Armut sowie Kleinbauern und -bäuerinnen, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben, leiden am meisten unter den Folgen der Klimakrise – durch den übermäßigen Konsum des reichsten Prozents der Menschheit. Außerdem muss auch die extrem ungerechte Verteilung von Land abgeschafft werden – das bedeutet auch, dass den Kleinbäuerinnen endlich Landrechte gewährt werden.

Das alles sind Dinge, die die Regierungen tun können – und umgehend tun sollten. Dass Menschen im 21. Jahrhundert an Hunger leiden, ist inakzeptabel. In einer Welt des Überflusses, in der das Vermögen von Milliardären explodiert, ist es unverzeihlich, dass Millionen von Menschen kurz vor dem Hungertod stehen. Nur die richtigen politischen Entscheidungen können diese Hungerkrise beenden.

 

Die Autorin Gabriela Bucher ist die Geschäftsführerin von Oxfam International.

Übersetzung aus dem Englischen. Das Original ist zuerst erschienen am 30.04.2022 bei Al Jazeera: "Ukraine: From breadbasket to breadcrumbs".

*Name zum Schutz der Person geändert oder gekürzt.

1 Kommentar

Liebe Gabriela,

JA, Sie habe absolut recht mit dem Inhalt Ihres Artikels! Die Hungersnot wird quasi "künstlich" am Leben erhalten und die reiche Länder geben einfach nicht genug. Zudem hören sie wohl auch nicht so richtig auf die ExpertInnen die genau das sagen was Sie schreiben; kleine bäuerliche Betriebe, Zugang zum Wasser und mehr Rechte für die Bevölkerung, Beendigung der Konflikte, Kriege und der Korruption, eine Verbot von Handel über die Börse mit Lebensmitteln; all dies muss kommen. Und wir Reichen müssen lernen abzugeben und zu teilen!
Oxfam kämpft dafür bereist seit Jahrzehnten und wir müssen gemeinsam weiter kämpfen und Ihre Organisation unterstützen. Jede(r so wie sie oder er kann!

Viel Erfolg gewünscht und liebe Grüße von

Ronald Weiss

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