Letzte Woche hat Lidl seine neue Menschenrechtspolitik veröffentlicht und damit gezeigt: Es geht, Supermärkte können ihre Geschäftspolitik ändern und stärker auf die Rechte der Menschen ausrichten, die überall auf der Welt Lebensmittel herstellen und häufig dabei ausgebeutet werden. Und das ist wichtig, besonders in Zeiten von Corona: Supermärkte sind nicht nur zentral, wenn es um die Versorgung der Menschen hier mit Lebensmitteln oder das Wohl ihrer Mitarbeiter*innen geht. Sondern sie haben auch die Macht und die Verantwortung für das Wohl derjenigen zu sorgen, die auf Tee-, Wein- oder Bananenplantagen für Hungerlöhne und unter massivem Einsatz von gesundheitsschädlichen Pestiziden täglich bis zu 12 Stunden schuften. Und nun unter der COVID-19-Epidemie in besonderem Maße schutzbedürftig sind, weil sie kein Home Office machen können oder ihre Gesundheit beispielsweise durch den Einsatz giftiger Pestizide ohnehin gefährdet ist.

Als Früchte verkleidete Aktivist*innen halten ein Banner mit der Aufschrift: „Big on talk, Lidl on action“ vor der britischen Lidl-Zentrale
Oxfams Obst-Offensive vor der britischen Lidl-Zentrale

Oxfam hat seit Jahren in verschiedenen Fallstudien zu Lebensmittelprodukten wie Tee und tropischen Früchten wie Bananen und Ananas immer wieder aufgezeigt, wie Supermärkte durch ihren Preisdruck und unfairen Verträgen gegenüber Zulieferern dazu beitragen, dass Menschen am Anfang der Lieferkette auf Obstplantagen in Ecuador oder Costa Rica unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen leiden. Seit 2018 hat Oxfam darüber hinaus einen Supermarktcheck veröffentlicht, der die Menschenrechtspolitik der größten Supermarktketten in Deutschland, Vereinigtem Königreich, den Niederlanden und den USA vergleicht und konkret gangbare Maßnahmen aufzeigt, die Supermärkte ergreifen sollen.

Und in den vergangenen Jahren haben unsere Unterstützer mit großem Einsatz in zahlreichen öffentlichen Aktionen immer wieder Lidl aufgefordert, seine Menschenrechtspolitik zu verbessern.

Gegen sklavenähnliche Zustände und giftige Pestizide: Bananenrudel sorgt für Aufruhr.

Übergabe von Unterschriften an Lidl: „Wij willen eerlijke boodschappen“
Auch in den Niederlanden forderten Oxfam-Unterstützer*innen Lidl zu faireren Handelspraktiken auf.

Nach zwei katastrophalen Ergebnissen in 2018 und 2019, wo Lidl die Schulnote sechs bekommen hätte, hat sich Lidl nun aufgemacht und zentrale Schritte hin zu einer sinnvollen Menschenrechtspolitik und -praxis unternommen. Das Zeugnis von Lidl könnte dieses Jahr also deutlich besser ausfallen.

Vielen Dank an alle, die durch Unterschriften, Aktionen in Shops, Nachfragen bei Lidl etc. den größten Lebensmittel-Einzelhändler Europas nachhaltig an seine menschenrechtliche Verantwortung erinnert haben – ohne Euch hätte es diese neue Politik Lidls nicht gegeben!

Die neue Menschenrechtspolitik von Lidl

Was hat Lidl konkret gemacht?

  • Lidl hat zum Beispiel als erster deutscher Supermarkt die Liste der Hauptlieferanten für seine Eigenmarken und Herkunftsländer mit menschenrechtlichen Risiken veröffentlicht. Das ist ein zentraler Schritt, um überhaupt Menschenrechtsverletzungen in Produktionsländern aufdecken und angehen zu können.
  • Außerdem wird Lidl bei Risikoprodukten zusammen mit Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft Risikoanalysen und Aktionspläne erarbeiten, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Zu solchen Risikoprodukten gehören z.B.:
    • Erdbeeren aus Spanien, wo Migrant*innen unter elendsten Bedingungen die Früchte ernten
    • Bananen aus Südamerika, in deren Anbau Oxfam immer wieder Menschenrechtsverletzungen festgestellt hat
    • Tee aus Kenia
  • Ein Riesenfortschritt ist auch, dass Lidl sich zur Durchsetzung der Zahlung eines existenzsichernden Lohns bekannt hat und in konkreten Projekten zunächst in Brasilien, Ghana und Ecuador darauf hinarbeiten will.
  • Sogar bei Gewerkschaftsrechten, deren Bedeutung anzuerkennen sich Lidl bisher weigerte, hat das Unternehmen einen bemerkenswerten Schritt getan und sich dazu bekannt, mit Gewerkschaften auch im globalen Süden zusammenzuarbeiten und sich dafür einzusetzen, dass die oftmals bestehenden Hürden für die Selbstorganisation der Arbeiter*innen vor Ort überwunden werden.
  • Schließlich ist anzuerkennen, dass Lidl sich durch die Unterzeichnung der UN Women Empowerment Principles, internationalen Grundsätzen zur Stärkung von Frauen im Unternehmen, verpflichtet hat, sowohl in all seinen Niederlassungen weltweit als auch bei seinen Lieferanten Frauen zu unterstützen und für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen.

Das muss jetzt passieren

Also alles in Butter? Bei weitem nicht.

Zunächst muss Lidl einen Großteil dieser Schritte noch umsetzen. Zwar wurde die neue Menschenrechtspolitik gruppenweit veröffentlicht, jedoch ist die vollständige Version einschließlich sämtlicher Verpflichtungen zunächst nur auf der deutschen, britischen und niederländischen Website verfügbar. Lidl hat aber versprochen, sie zeitnah in allen Märkten auf die Website zu stellen. Oxfam wird das nachhalten.

Und dann ist es noch ein weiter Weg, bis Arbeiter*innen in den weltweiten Lieferketten tatsächlich das bekommen, was ihnen zusteht: Gehälter, von denen sie mit ihren Familien leben können, gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit für Frauen, keine Diskriminierung, reguläre Verträge, eine Sozialversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub, das Recht sich zu organisieren – die Liste ist lang.

Die großen Supermarktketten wie Lidl tragen hierfür eine besondere Verantwortung, weil sie als Unternehmen mit Milliardenumsätzen eine extrem ungleiche Verhandlungsmacht gegenüber den meist deutlich kleineren Zuliefererunternehmen haben – und erst recht im Vergleich mit den Kleinbäuer*innen, welche viele Lebensmittelrohstoffe anbauen.

Akut erfordert die COVID-19-Epidemie sofortiges Handeln: Oxfams Partner zum Beispiel in Südafrika, Ecuador und Indien verweisen auf ausbleibende Einkommen vor allem für Tagelöhner*innen, mangelnden Zugang zum Gesundheitsschutz und die besondere Schutzbedürftigkeit von Arbeiter*innen zum Beispiel auf Bananenplantagen, deren Lungen durch Pestizide häufig vorbelastet sind. Vorangegangene Epidemien haben gezeigt: Insbesondere Frauen sind von der Krise besonders und voraussichtlich vor allem langfristig betroffen, was spezifische Risikoanalysen und Maßnahmen erfordert.

Supermärkte wie Lidl sollten sich in diesen Krisenzeiten nicht nur um das Wohl ihrer Mitarbeiter*innen kümmern, sondern auch um das der Arbeiter*innen vor Ort, zum Beispiel durch Zahlung eines Preisaufschlags. Schließlich hängt in den Lieferketten alles miteinander zusammen: Jede*r an der Lieferkette Beteiligte trägt dazu bei, dass Bananen, Wein und Trauben in unseren Regalen landen. Menschenrechte müssen dabei für alle gelten. Diese zu achten bleibt für Lidl und andere Supermärke eine zentrale Pflicht, der sie sich stellen müssen. Auch in schwierigen Zeiten.

14 Kommentare

Anzuerkennen ist, das Lidl soziale Aspekte in ihre Einkaufspolitik einbeziehen will.
Wird diese 'soziale Einkaufspolitik' umgesetzt, müsste das zu höheren Abverkaufspreisen in den Filialen führen.
Das wiederum würde zu einem Preisgefälle gegenüber den Lidl-Mitbewerbern führen, denen eine 'soziale Einkaufspolitik' nicht so wichtig ist.
Als Folge könnten bei Lidl Umsatzverluste entstehen!

Es sei denn, das Einkaufsverhalten der Lidl-Mitbewerber würde konsequent beobachtet und bei erkannten sozialen Unterschreitungen der Lidl-Einkaufsgrundsätze - hier müsste man wohl einen allgemeinen Sozialindex erstellen - die Öffentlichkeit, von wem auch immer, entsprechend informiert würde.
Wie weit dann der moralische Aspekt bei den Kunden greift, trotz niedriger Preise der Mitbewerber beim teureren Lidl einzukaufen, bleibt abzuwarten.

Was ist denn mit den rumänischen Erntehelfern in Brandenburg? Nix fair trade vor unserer Haustür.

Sehr gut, dass wenigstens das Nachdenken einsetzt. Jetzt liegt es an uns Kunden, dass wir faire Produkte, wenn sie angeboten werden, auch kaufen.

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