Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in unseren Lebensmitteln
Armutslöhne, Vergiftungen durch Pestizide und die Diskriminierung von Frauen und Gewerkschafter*innen sind bei der Produktion vieler Lebensmittel an der Tagesordnung, insbesondere in wirtschaftlich benachteiligten Ländern. Große Konzerne nehmen solche Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten in Kauf – und profitieren sogar davon.
Beispiel Löhne: Arbeiter*innen auf Teeplantagen im indischen Assam erhalten gerade mal 1 % vom Verkaufspreis des von ihnen gepflückten Tees. Der Lohn, den sie für die harte Arbeit auf dem Feld bekommen, reicht nicht, um eine Familie zu ernähren. Den größten Anteil des Verkaufspreises behalten die Supermärkte ein – satte 58 %. Und die Arbeiter*innen in Indien sind nicht allein.
Auch Arbeiter*innen auf Traubenfarmen in Südafrika erhalten für ihre Ernte nur etwa durchschnittlich 1 % vom Verkaufspreis des Endprodukts: südafrikanischer Wein. Die Supermärkte hingegen machen Kasse: Sie behalten hier ebenfalls über 50 % des Verkaufspreises.
Frauen und Arbeitsmigrant*innen sind besonders betroffen
Ausbeutung und Unterdrückung treffen insbesondere Arbeitsmigrant*innen und Frauen. In Costa Rica etwa stammt ein Großteil der Arbeiter*innen auf den Ananasplantagen aus dem benachbarten Nicaragua. Viele Migrant*innen können sich keine teure Arbeitserlaubnis leisten. Sie sind dadurch völlig abhängig von ihrem Arbeitgeber und trauen sich häufig nicht, ihre Rechte einzufordern. So kommt es vor, dass ausländische Arbeiter*innen, sobald sie etwa gegen die schlechte Bezahlung protestieren, vom Plantagenbesitzer selbst bei der Polizei angezeigt werden. In der Konsequenz droht ihnen die Abschiebung.
Frauen – und besonders migrantische Frauen – stehen unter zusätzlichem Druck: Viele haben eine Mehrfachbelastung durch häusliche Sorgearbeit zu stemmen und am Arbeitsplatz werden sie diskriminiert. Auf Bananenplantagen in Ecuador sind zum Beispiel die Löhne in den Verpackungshallen, wo ein Großteil der Frauen arbeitet, um ein Drittel niedriger als auf den Feldern, wo vor allem Männer tätig sind.
Die Verantwortungslosigkeit der deutschen Supermärkte
Der größte Teil unserer Lebensmittel wird in Supermärkten verkauft. Rewe, Aldi, Edeka sowie die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) teilen mehr als 85 % des deutschen Marktes unter sich auf – Tendenz weiter steigend.
Dadurch haben die Supermärkte eine enorme Marktmacht. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in ihren globalen Lieferketten. Lieferanten und Erzeuger*innen müssen kontinuierlich große Warenmengen in vorgegebener Qualität und zu niedrigen Preisen liefern. Die Supermärkte drücken die Preise, unfaire Konditionen werden in die Verträge diktiert. Der Preisdruck wird in der Lieferkette weitergereicht. Kleinbäuer*innen und Arbeitskräfte am Anfang der Lieferkette haben dabei das Nachsehen – sie tragen die größte Last auf ihren Schultern und verdienen dabei Hungerlöhne.
Die Supermärkte dagegen verdienen am meisten an den verkauften Produkten – sie streichen häufig über 50 % des Verkaufspreises ein, während Arbeiter*innen teilweise nur 1 % bekommen. Doch mit den satten Geschäften am billigen Obst geht noch kein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein einher, wie Oxfams Supermarkt-Check zur Menschenrechtspolitik zeigt: Obwohl einige Handelsketten seit einigen Jahren Fortschritte machen, sind sie von einer vollständigen Erfüllung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte noch weit entfernt, insbesondere im Hinblick auf Frauenrechte. Während Lidl, Rewe und Aldi sich auf öffentlichen Druck hin immerhin vorwärtsbewegt haben, ist Edeka seit Jahren Schlusslicht – auch im internationalen Vergleich.
Lieferkettengesetze als Teil der Lösung
Konzerne können ihre Geschäftspraktiken ändern und damit die Rechte der Menschen in ihren Lieferketten schützen. Freiwillig tun sie allerdings nicht genug, was auch Oxfams zahlreiche Berichte zeigen. Deshalb brauchen wir starke Lieferkettengesetze in Deutschland und in der EU, um Arbeiter*innen zu schützen und die globale Wirtschaft gerechter zu gestalten.
Erster Teilerfolg: Das deutsche Lieferkettengesetz
Der erste Schritt ist schon getan: Nach langem Ringen wurde in Deutschland 2021 ein „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ verabschiedet. Mit dem Gesetz bricht die Bundesregierung endlich mit dem Prinzip der Freiwilligkeit und verpflichtet Unternehmen erstmals zum verbindlichen Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten. Das ist ein Paradigmenwechsel, der nicht zuletzt über den Druck der Zivilgesellschaft eingetreten ist.
Leider hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) unter dem Druck der Wirtschaftslobby das Gesetz allerdings an entscheidenden Stellen stark verwässert: So fehlt beispielsweise die zivilrechtliche Haftung deutscher Unternehmen. Das bedeutet: Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten deutscher Unternehmen haben keine Grundlage, um Schadensersatz vor deutschen Gerichten einklagen zu können.
Außerdem müssen sich Firmen zunächst hauptsächlich um ihre direkten Zulieferer kümmern. Da viele davon in Deutschland ansässig sind und nicht dort, wo Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, droht das Gesetz ins Leere zu laufen.
Nächster Schritt: EU-Lieferkettengesetz
Jetzt haben wir eine neue Chance: Auf europäischer Ebene ist der Prozess für ein EU-Lieferkettengesetz in vollem Gange. Das ist ein Hoffnungsschimmer, denn die europaweite Regelung ist weitreichender als das deutsche Gesetz und könnte einheitliche Vorgaben für alle großen EU-Unternehmen schaffen.
Aktuell befindet sich der Prozess für ein EU-Lieferkettengesetz in der letzten, aber entscheidenden Phase. Nachdem im Juni 2023 auch das Europäische Parlament seine Position verabschiedet hat, folgt nun der sogenannte Trilog. In diesem verhandeln die drei EU-Institutionen Rat, Kommission und Parlament über die finale Ausgestaltung der Richtlinie.
Für diese letzte Etappe fordert Oxfam von der Bundesregierung und den deutschen EU-Abgeordneten, die bestehenden Lücken zu schließen. Vor allem beim Rechtszugang für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen besteht akuter Nachbesserungsbedarf!
Im Februar 2022 hat die EU-Kommission einen Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt, oder genauer, eine „EU-Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten“ oder auf englisch „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD). Dieses EU-Lieferkettengesetz sieht den Schutz von Menschenrechten und Umwelt in Geschäften europäischer Unternehmen vor und muss als EU-Richtline von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Im Dezember 2022 folgte die Position des Ministerrats, der die Regierungen der Mitgliedstaaten vertritt. Auch das Europäische Parlament – die Vertretung der EU-Bürger*innen – hat sich eine Meinung gebildet: In monatelangen Verhandlungen haben die Ausschüsse des Parlaments einen Kompromiss formuliert, der von der Berichterstatterin Lara Wolters am 1. Juni 2023 zur Abstimmung gestellt wurde. Nun folgt der Trilog-Prozess, in dem die drei EU-Institutionen die finale Ausgestaltung der Richtlinie verhandeln, denn am Ende kann die Richtlinie nur in Kraft treten, wenn Parlament und Ministerrat sich auf eine Fassung einigen. Nach dem heftigen Ringen um den Gesetzesvorschlag im Parlament ist eine ebenso harte politische Auseinandersetzung im Trilog zu erwarten.
Oxfam wird den Trilog gemeinsam mit den mehr als 130 Mitgliedsorganisationen der „Initiative Lieferkettengesetz“ kritisch begleiten und Druck für ein wirksames Gesetz machen, das Menschenrechte, Klima und Umwelt in den Lieferketten europäischer Unternehmen schützt.
Abonnieren Sie unseren Newsletter und bleiben Sie auf dem Laufenden. Wir haben einiges vor!
Newsletter empfangen