Es ist schon eigenartig – seit über zwei Jahren beherrschen in Deutschland die Themen Flucht und Migration die öffentliche Debatte, und auch im aktuellen Wahlkampf nehmen sie gefühlt den größten Raum ein.

Ein Blick in die Wahlprogramme einiger der aussichtsreichsten Parteien – zumindest innerhalb des klassisch bürgerlichen Spektrums – zeigt jedoch, dass die Politik vielfach die herrschende globale Not von Millionen Menschen auf der Flucht in den Hintergrund gedrängt hat. Beherrscht werden die Texte primär von der Frage, wie der Wohlstand der hier lebenden Bürgerinnen und Bürger am besten gesichert werden kann. Der Umgang mit Flucht und Migration (ebenso wie mit Krieg, Armut und Klimawandel) folgt dagegen unter ferner liefen. Und auch dort geben zunächst wohlfeile Botschaften den Ton an: So beteuern zum Beispiel die bisher regierenden Parteien, weiterhin ihren humanitären Verpflichtungen nachkommen, das Recht auf Asyl nicht antasten, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen und das Sterben auf dem Mittelmeer beenden zu wollen. Doch gleichzeitig wird klargemacht: Nicht nur Menschen auf der Flucht müssten besser geschützt werden, sondern auch die Außengrenzen – und zwar „vor illegalen Grenzübertritten“ (siehe SPD). Überhaupt gelte es stärker als bisher, den Zuzug von Schutzsuchenden „zu steuern und zu reduzieren“ – denn schließlich solle „die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig“ bleiben (siehe CDU/CSU).

Globale Verantwortung gerecht verteilen

Kaum ein Wort dagegen von der gemeinsamen globalen Verantwortung, die auch Deutschland als reiches und von Kriegen und Katastrophen verschontes Land für die weltweit mehr als 65 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen trägt. Zweifellos hat Deutschland seit 2015 sehr viel bei der Aufnahme und Unterstützung für geflohene Menschen geleistet. Dennoch gilt, dass die meisten Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Gewalt und Not ihre Heimat verlassen müssen, nicht in Europa Aufnahme finden, sondern in weitaus weniger wohlhabenden Ländern wie etwa Uganda, dem Libanon, der Türkei oder jüngst auch in Bangladesch. In genau einem Jahr wollen die Vereinten Nationen ein globales Abkommen beschließen, durch das die Anstrengungen bei der Aufnahme von Geflüchteten und die Beiträge zur Lösung der Krise rund um Flucht und Migration gerechter verteilt werden sollen. Hier könnte Deutschland sicherlich noch mehr tun als bisher.

Abschottungspolitik zerreißt Familien

Angesichts des hierzulande herrschenden Trends zur Abschottung gegen Migration ist es auch kein Zufall, dass in den meisten Wahlprogrammen die Frage des Nachzugs von Familienangehörigen zu bereits in Deutschland lebenden Geflüchteten nur vereinzelt thematisiert wird. Zum Hintergrund: Im März 2016 hat die Bundesregierung den Anspruch auf Familiennachzug für Geflüchtete mit „subsidiärem Schutz“ (im Gegensatz zu anerkannten Asylbewerber/innen) für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt. Vielen Menschen zum Beispiel aus Syrien, dem Irak oder aus Afghanistan ist seither das Recht auf ein Zusammenleben mit ihren engsten Angehörigen in Deutschland verwehrt.

Dabei würden letztlich alle von einem erleichterten Familiennachzug profitieren: Die Menschen auf der Flucht, die endlich in Sicherheit bei ihren Familien sind. Die wartenden Angehörigen, denen die Familie Halt gibt und damit gesellschaftliche Teilhabe und ein eigenständiges Leben erleichtert. Und die aufnehmende Gesellschaft. Denn ein eigenständiges Leben bedeutet ein Leben unabhängig von staatlicher Unterstützung.

Unterstützung für menschliche Flüchtlingspolitik mobilisieren

Doch es besteht Hoffnung, dass die ebenso grausame wie unsinnige Regelung bald beendet werden könnte. Oxfam mobilisiert mit dem Online-Aufruf „Stand as One“ öffentliche Unterstützung dafür. Andere NGOs haben ähnliche Initiativen gestartet. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz, hat sich bereits öffentlich und auch in einer Antwort auf ein Oxfam-Schreiben dafür ausgesprochen, die Aussetzung des Familiennachzugs wieder aufzuheben. Und auch im Wahlprogramm ihrer Partei, der SPD (ebenso wie in dem von Bündnis 90/Die Grünen und in dem der Linken), findet sich diese Forderung. In den Programmen von FDP und CDU/CSU ist die Frage nicht thematisiert; von führenden Unionspolitiker/innen sind unterschiedliche Auffassungen zu hören: Während sich Innenminister Thomas de Maizière bereits für eine Verlängerung der Aussetzung ausgesprochen hat, sagte Bundeskanzlerin Merkel kürzlich, über diese Frage solle erst Anfang des kommenden Jahres diskutiert werden.

Egal wie die Wahl ausgehen wird, es dürfte kaum leichter werden, eine wahrhaft solidarische und an Menschenrechten orientierte Politik zu Flucht und Migration zu erreichen. Das Beispiel Familiennachzug zeigt aber auch, dass in unserer Gesellschaft ein erhebliches Potenzial dafür besteht, diesen Werten wieder stärker Geltung zu verschaffen.

6 Kommentare

Ich kann Tine Holz nur recht geben! Warum werden in dieser Analyse auch von Oxfam kleine Parteien wie 'Demokratie in Bewegung - DiB' ignoriert, die genau zu diesem Thema ein fortschrittliches Programm haben - und zu vielen anderen wichtigen Themen auch! Wenn alle kritischen und fortschrittlichen Menschen DiB gewaehlt haetten, haette die Partei leicht die 5 % Huerde geschafft und waere als eine fortschrittliche und nicht korrumpierte Kraft in den Bundestag eingezogen...
Ich kann nur alle Interessierten bitten, das Programm von DiB zu lesen - und sich vielleicht auch mit eigenen Ideen dort einzubringen - das ist bei DiB naemlich auch fuer Nicht-Mitglieder moeglich!

https://bewegung.jetzt/programm/

@ Reinhard hascha,
wenn Sie hier den Freiburger Ökonom Raffelhüschen, der immer wieder mit überspitzten Thesen in den Medien präsent ist, zitieren, dann würde ich Ihnen raten, sich in der schönen grünen Stadt Freiburg umzuschauen. Keine Frage, auch hier wird viel zu wenig investiert in Schulen, Pflege usw., völlig richtig, allerdings ist das seit Jahrzehnten so und nicht erst, seit wir so viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Andererseits jagt in Freiburg eine Großbaustelle die andere und macht nicht nur das Leben in der selbst ernannten "Green City" laut, grau, und eng - übrigens besonders auch für Radfahrer, Fußgänger und Touristen! - sondern die ganzen Neubauten und Infrastukturprojekte verschingen auch jede Menge Geld, ganz abgesehen von den Folgekosten wie z.B. spezielle Reinigungsmachinen für den neu gebauten hellgrauen Platz im Wert von mehreren 100.000 EUR. Und doch war in der Badischen Zeitung vor ein paar Monaten zu lesen, eine Studie hätte gezeigt, dass die Unterbringung von Flüchtlingen zu dem "Loch" in der städtischen Kasse geführt habe. Natürlich stellt die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen eine Mammutaufgabe dar, sowohl finanziell wie auch in sozialer Hinsicht, dennoch dürfen wir uns weder von Herrn Raffelhüschen noch von den rechtspopulistischen Parteien einreden lassen, die Flüchtlinge wären an unserer sogenannten Misere schuld. Nicht zuletzt verdeutlicht doch gerade Oxfam, wie auch andere Organisationen, immer wieder die Zustände in Entwicklungs- und Krisenregionen und so lange die Bekämpfung der wirkllichen Fluchtursachen nur Lippenbekenntnisse der Politiker bleiben, brauchen wir uns über die Zuwanderer nicht zu wundern, sondern können und müssen mit diesen zusammen ein friedliches Zusammenleben anstreben. Der Bau von Mauern und das sogenannte Sichern der europäischen Außengrenzen kann auf Dauer jedenfalls keine Lösung sein, sondern wird noch stärker zu sozialen globalen Konflikten führen.

@Tine Holz,
leider ä bissel spät um dies zu organisieren.
Ich für mich habe nur die Idee: Am Sonntag wählen gehen, eventuell denn Stimmzettel ungültig machen und damit Überhangsmandate und 5€ pro Nicht Wähler an die Partei abzugeben, die Prozentual gewinnt. Wir raten hoffentlich nur einmal. Nicht wählen ist gleichzeitig eine Stärkung der rechts gerichteten Parteien und ganz klar ich möchte weder für mich noch für meinen Sohn ein Regime das an den 2. Weltkrieg oder an momentane Einflüsse von Trump, Erdogan, Putin oder Kim erinnert oder darauf aufbaut.
Wir können mit unserer Stimme Diskussionen hervor rufen. Dies sollten wir nicht vergessen. Deshalb geht wählen, egal ob Parteien oder ungültig. Wer nicht wählt hat meines Erachtens "kein Recht" nachher zu motzen! !!!!!

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