Das Verhältnis zwischen Geldgebern und der Wirtschaft hat sich grundlegend verändert. Unternehmen sind heute regulär als Partner an Entwicklungsprojekten in armen Ländern beteiligt, auch in Deutschland. Mit dem Entwicklungsinvestitionsfonds will die Bundesregierung nun auch noch verstärkt Unternehmensinvestitionen in Afrika mit staatlichen Mitteln fördern. Dabei ist die Annahme von mehreren Geldgebern, dass die Kooperationen mit Unternehmen per se gut für die Entwicklung sind, nicht belegt. Das zeigt der jüngste Oxfam-Bericht „Faith is not enough“.
Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft (EPW) gibt es in Deutschland bereits seit Ende der 1990er Jahre, ob sie aber wirklich Armut mindern, wurde erst knapp 20 Jahre später (2017 und 2018) näher untersucht. Das Ergebnis stellt ein Armutszeugnis für das Entwicklungsministerium (BMZ) dar.
Entwicklung der Kooperation mit Unternehmen
Die Idee, deutsche Unternehmen in der Entwicklungspolitik mit ins Boot zu holen, kam ursprünglich von Entwicklungsminister Carl-Dieter Spranger (CSU). Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) setzte den Kurs mit „Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft“ fort und führte dafür das Programm develoPPP ein. Als Dirk Niebel (FDP) 2010 ankündigte, die Kooperation mit der privaten Wirtschaft „überproportional“ zu stärken, hagelte es Kritik von Entwicklungsorganisationen.
Die vergleichsweise bescheidenen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit würden vor allem der Außenwirtschaftsförderung dienen. Die damalige Staatssekretärin Gudrun Kopp erklärte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sogar: „Entwicklungspolitik ist ohne die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gar nicht möglich“. Unter Niebel wurden die Gelder für PPPs (Public Private Partnerships) erhöht sowie Verbindungsreferenten zu den großen deutschen Wirtschaftsverbänden, sogenannte Entwicklungsscouts, und eine Servicestelle eingerichtet. Als Gerd Müller Ende 2013 Entwicklungsminister wurde, betonte er: „Hier sitzt Müller, nicht Niebel“. Doch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft hat er nicht auf den Prüfstand gestellt.
Im Gegenteil: Die Finanzmittel für Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft wurden stattdessen kontinuierlich erhöht. Im Haushaltsplan 2019 sind gut 178 Millionen Euro hierfür vorgesehen. Das Finanzvolumen der KfW Entwicklungsbank ist bei PPPs (Public Private Partnerships) um ein vielfaches höher: Nach Angaben der Bundesregierung werden 2015 und 2016 PPP-Projekte in Höhe von 4 Mrd. Euro über die KfW finanziert. Das BMZ verfolgt zunehmend das Ziel, Unternehmensinvestitionen mit Hilfe von Mitteln aus der Entwicklungszusammenarbeit zu mobilisieren („zu hebeln“), ob über den Marschallplan, den Compact with Africa oder den mit einer Milliarde Euro ausgestatteten Entwicklungsinvestitionsfonds. Im Klartext heißt das: Knappe BMZ-Mittel, die für die ärmsten Menschen bestimmt sein sollten, gehen an Unternehmen. Mit dem Europäischen Investitionsplan (EIP) soll durch den Einsatz von 3,35 Mrd. Euro EU-Entwicklungsgeldern bis zum Jahr 2020 gar 44 Mrd. Euro durch zusätzliches privates Kapital mobilisiert werden. Die 1:13-Verheißung geht jedoch an der Realität vorbei. Ein Bericht des „Overseas Development Institute“ (ODI) zeigt, dass in ärmeren Ländern (“Low-Income Countries“) mit einem US$ nur privates Kapital in Höhe 0,37 US$ mobilisiert werden konnte.
Wirtschaftsförderung fürs Agrobusiness
Ende der 1990er Jahre begann die Kooperation mit Agrarkonzernen und verstärkte sich nach der Preisexplosion bei Nahrungsmitteln 2007/08. Agrarkonzerne sahen die Geldgeber als willfährige Steigbügelhalter, um neue Märkte zu erschließen und gute Kontakte mit Regierungsbehörden in Entwicklungsländern zu etablieren.
Die auf dem Weltwirtschaftsforum 2011 verabschiedete „Neue Vision für die Landwirtschaft“ beförderte die Gründung der Investitionsplattform „GROW Africa“ und der „Neuen Allianz für Ernährungssicherheit“ der G8 und inspirierte zudem den damaligen Entwicklungsminister Dirk Niebel, eine „German Food Partnership“ ins Leben zu rufen. Bayer und BASF gehörten zu den ersten, die von dieser strategischen Partnerschaft mit dem BMZ profitierten.
Hans-Joachim Wegfahrt von Bayer Crop Science erklärte im November 2013: „Eine „Grüne Revolution wird man nicht mit Kleinbauern machen…wir brauchen eine Konsolidierung“. Es ist somit das erklärte Ziel von Bayer, kleinbäuerliche Produzenten vom Markt zu verdrängen. Die Marktmacht von Bayer und BASF nimmt immer weiter zu, auch aufgrund der Unterstützung des BMZs. Heute kontrollieren die beiden Konzerne bereits 40 Prozent des globalen Pestizidmarktes.
Auch Entwicklungsminister Gerd Müller fördert das Agrobusiness, ob über sein Leuchtturmprojekt „Grüne Innovationszentren“ im Rahmen der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“, der Gründung der „Agentur für Wirtschaft und Entwicklung“ oder der finanziellen Unterstützung der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA).
In Verträgen mit Agrarkonzernen, in die Oxfam über das Informationsfreiheitsgesetz Einsicht erhalten hat, wird der Nutzen für die Konzerne deutlich beschrieben. Zentral sei für sie, kleinbäuerliche Produzenten zu erreichen, an die sie ihre Pestizide und Saatgut verkaufen können. Trainings im Bereich Schädlingsbekämpfung und Düngung sollen deren Nachfrage erhöhen. Die Förderung von Unternehmensinvestitionen mit staatlichen Mitteln findet immer stärker auch seinen Niederschlag in der Landwirtschaft. Auf der europäischen Ebene fördert die „Agriculture Financing Initiative“ (AgriFI) Unternehmensinvestitionen mit staatlichen Geldern im Rahmen des Europäischen Investitionsplans. Unter dem Etikett der Ernährungssicherung bzw. Hungerbekämpfung werden so die Wirtschaftsinteressen von Agrarkonzernen bedient.
Erschreckende Bilanz bei Entwicklungsorientierung und Menschenrechten
Auf Vorschlag von Abgeordneten der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen führte das „Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit“ (DEval) zwei Untersuchungen durch. Im Jahr 2017 ging es um die Umsetzung, Wirkungen und Nachhaltigkeit des develoPPP.de-Programms (im Zeitraum 2009 bis 2015) und im Jahr 2018 um die Frage, inwiefern die Kooperation mit der Privatwirtschaft im Agrarsektor (seit 2006) geeignet ist, entwicklungspolitische Ziele zu erreichen.
Die ernüchternde Bilanz stellt ein Armutszeugnis für das BMZ dar. Es bliebe unklar, worin die komparativen Vorteile der Privatwirtschaft liegen, die rechtfertigten, dass diese in die Entwicklungszusammenarbeit einbezogen würden, stattdessen gäbe es „viele generische und ungenaue Aussagen zur Rolle der Privatwirtschaft“. Ihre Beiträge und ihr Mehrwert würden „nicht ausreichend konkret beschrieben“. Es gäbe „keine explizite Theory of Change und dementsprechend auch keine Strategie zur Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft im Agrarsektor“. Der Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit ist nicht bei den Wirkungspfaden abgebildet und somit kaum berücksichtigt. Auf Programmebene lägen „kaum Monitoring-Daten oder Evaluierungen“ vor, die den Beitrag der Privatwirtschaft zum Erreichen entwicklungspolitischer Ziele dokumentierten.
Was über fast alle Programme hinweg auffiele, sei der „fehlende Bezug auf das Menschenrechts-Konzept und den Leitfaden als handlungsleitende Dokumente“. Es gebe „kein einheitliches Verständnis“ von BMZ, GIZ und KfW, wie eine angemessene Prüfung von menschenrechtlichen Aspekten aussehen solle. Eine systematische Überprüfung von menschenrechtlichen Aspekten sei „weder in den Prüfprozessen vor Projektbeginn noch im Monitoringsystem während der Projektdurchführung“ angelegt. Die GIZ sei „ihrer Verpflichtung, menschenrechtliche Risiken zu prüfen, unter Verweis auf die Selbstverpflichtungen der Unternehmen sowie auf den Aufwand ...bisher nicht angemessen nachgekommen“. Der als zentrales Dokument genannte Referenzrahmen für Entwicklungspartnerschaften im Agrar- und Ernährungssektor sei aus menschenrechtlicher Sicht „nicht ausreichend“. Mit Hinweis auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2016 bekräftigt das DEval, dass „Ansätze zur Förderung landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten nicht geeignet sind, zur Förderung der in extremer Armut lebenden Bevölkerungsschichten beizutragen“. Negative Auswirkungen bei den Zielgruppen könnten bei develoPPP nicht ausgeschlossen werden.
Unternehmensinteressen bestimmend, Partnerinteressen nachgeordnet
Aus der Unternehmensbefragung zu develoPPP geht hervor, dass mit 26 von 36 Nennungen die „Erschließung neuer bzw. der Ausbau bestehender Absatzmärkte“ das häufigste Unternehmensziel ist. Von Unternehmen und Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern wird das Programm „überwiegend als Außenwirtschaftsförderung wahrgenommen“. Projektinhalte, Projektstandorte und Zielgruppen würden „wesentlich von den Interessen der Unternehmen bestimmt“, Mitbestimmungsmöglichkeiten durch Vertreter oder Institutionen des Partnerlandes seien „nachgeordnet“. Unternehmensrelevante Zielgruppen (Konsumenten, Produzenten) gehörten zumeist nicht zu den armen Bevölkerungsteilen. Zudem sind bei Entwicklungspartnerschaften im Rahmen von develoPPP erhebliche Mitnahmeeffekte zu verzeichnen. Bei fünf von zwölf Fallstudien (42 Prozent) hätten die Projekte auch ohne staatliche Förderung stattgefunden. Hier findet also eine erhebliche Verschwendung von Steuergeldern statt.
Das DEval stellt zudem fest, dass bislang „die Evidenzbasis hinsichtlich der Wirksamkeit von Partnerschaftsprogrammen jedoch begrenzt“ ist. Bei 50 Prozent der Fallstudien würden die Projektkriterien teilweise nicht erfüllt, die Ziele nur „eher“ erfüllt. Eine „Steuerung (und Entscheidung über die Weiterführung des Programms) fände auf „unzureichender Informationsbasis“ statt. 90 Prozent der develoPPP-Projekte hätten den Transfer von Wissen und Technologien zum Ziel. Eine Übersetzung des Wissens- und Technologietransfers…in Einkommens- und Beschäftigungseffekte bei der lokalen Bevölkerung gelänge (allerdings) nur begrenzt. Die geringe Ausrichtung des Programms auf Bedarfe marginalisierter entwicklungspolitischer Zielgruppen in den Partnerländern sowie die fehlende Berücksichtigung zentraler Forderungen internationaler Vereinbarungen wie der Pariser Erklärung zur Partnereinbindung sei bislang nicht ausreichend begründet. Es könne vor dem Hintergrund nicht davon ausgegangen werden, dass develoPPP-Projekte per se zu inklusivem Wirtschaftswachstum in den Partnerländern beitrügen und armutsmindernde Effekte entfalten könnten.
Gravierende Mängel festgestellt – was nun?
Minister Müller setzt wie kein Minister zuvor auf die Kooperation mit der Privatwirtschaft, auch in der Landwirtschaft. Die DEval-Untersuchung bestätigt an vielen Punkten die zivilgesellschaftliche Kritik an PPPs, die in den Grundzügen genauso auf das verstärkt zur Anwendung kommende „Hebeln“ („Blending“) von Unternehmensinvestitionen mithilfe von Entwicklungsgeldern zutrifft. Die Bilanz in punkto Menschenrechte ist niederschmetternd. Die simple Logik, dass Unternehmensinvestitionen per se die Armut mindern, wurde als unhaltbar entlarvt. Ein Blick auf die Stellungnahmen des BMZs machen deutlich, dass die Untersuchungen des DEval und die langjährige Kritik der Zivilgesellschaft nicht ernst genommen werden.
Auf die Empfehlung des DEval nach einem „handlungsleitenden Grundsatzpapier“ und einer Konkretisierung des entwicklungspolitischen Beitrags der Privatwirtschaft beim Monitoring ging das BMZ nicht ein. Einzig in punkto develoPPP hat das BMZ angekündigt, neue Leitlinien (konkreteres Zielsystem, angepasste Programmkonzeption) zu erarbeiten, ohne Taten folgen zu lassen. DeveloPPP wurde lediglich etwas umstrukturiert, das Programm ist beispielsweise für lokale Unternehmen geöffnet worden.
Das BMZ ignoriert die DEval-Empfehlung, die Prüfung und das Monitoring menschenrechtlicher Risiken in Projekten, in denen mit der Privatwirtschaft im Agrarsektor kooperiert wird, zu stärken und besser zu kontrollieren. Menschenrechte existieren nur auf dem Papier, das Menschenrechtskonzept des BMZs und der Leitfaden haben keine praktische Relevanz in der Entwicklungszusammenarbeit. Ein unhaltbarer Zustand!
Seit Jahren fordern Menschenrechtsorganisationen zudem, einen menschenrechtlichen Beschwerdemechanismus einzuführen, den Akteure bzw. Zielgruppen in den Projektländern bei Menschenrechtsverletzungen nutzen können. Minister Müller könnte so in seinem Haus mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten im Ausland geht. Der vom BMZ vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten“ zeigt, dass ihm Menschenrechte ein Anliegen sind. Bei den eigenen Entwicklungsprojekten und in punkto Politikkohärenz muss er dies allerdings erst noch unter Beweis stellen. Den Beschwerdemechanismus, den er im Gesetzesentwurf vorsieht, sollte er auch im BMZ selbst einführen.
Positiv ist, dass das BMZ anerkennt, dass in Armut lebende Menschen, wie z.B. ressourcenarme Kleinbäuerinnen und -bauern auf marginalen Standorten mit marktorientierten Ansätzen nur begrenzt direkt erreicht werden. Dies schließt die Grünen Innovationszentren im Rahmen der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ ein, denen bzw. der das DEval eine schwache konzeptionelle Untermauerung attestiert. Problematisch ist hingegen, dass das BMZ all jenen, die hungern, nur komplementäre Ansätze im Bereich Ernährungssicherung oder soziale/r Sicherungssysteme und keine Instrumente zur Einkommensverbesserung im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe anbietet.
Sie verharren so in der Armutsfalle und sind nach wie vor dem (Risiko von) Hunger ausgesetzt. Anspruch und Wirklichkeit klaffen in der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ immer noch weit auseinander. Einzig das jüngste Engagement des BMZs und der Beschluss des Bundestages in punkto Agrarökologie stellen einen Hoffnungsschimmer dar.
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