Am Samstag beginnt der G7-Gipfel, das Gipfeltreffen der sieben bedeutendsten Industrienationen der westlichen Welt. Wir zeigen auf, was die Staaten und vor allem die Bundesregierung tun muss, um ihren Worten Taten folgen zu lassen und soziale Ungleichheit endlich effektiv zu bekämpfen. Eines vorweg: Vor allem bei Klimaschutz und Steuerpolitik muss die Bundesregierung endlich von der Bremse runter.

1. Ziel verfehlt: Mangelndes Engagement gegen soziale Ungleichheit 

Die Bundesregierung hat sich – ebenso wie alle anderen UN-Mitgliedsstaaten – im Rahmen der Agenda 2030 und der Ziele für nachhaltige Entwicklung dazu verpflichtet, Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten zu verringern. Doch dieses Lippenbekenntnis auf internationalem Parkett war für die Politik der Bundesregierung bislang weitgehend folgenlos. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich – zumindest rhetorisch – die Bekämpfung von Ungleichheit auf die Fahnen geschrieben hat, bleibt Bundeskanzlerin Angela Merkel zu dieser zentralen Herausforderung des 21. Jahrhunderts stumm. Die fehlende Anerkennung des Problems und die politische Untätigkeit haben Folgen: Die Einkommensungleichheit hat sich hierzulande seit der Finanzkrise 2008/09 deutlich vergrößert, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer aktuellen Studie vorrechnet. Die Vermögensungleichheit ist eine der höchsten in Europa und der Abstand zwischen den Ärmsten und Reichsten wächst weiter, wie die Bundesbank im April 2019 erklärte. Und auch die Ungleichheit der Bezahlung zwischen Männern und Frauen ist im internationalen Vergleich hierzulande sehr hoch.

Was zu tun ist: Die Bundesregierung muss sich konkrete Ziele zur Verringerung sozialer Ungleichheit setzen und Länder des Globalen Südens unterstützen, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Notwendig sind Maßnahmen in der Steuerpolitik, Bildungs- und Sozialpolitik sowie im Hinblick auf die Verantwortung von Unternehmen für faire Löhne und Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten (siehe folgende Abschnitte).

2. Doppeltes Spiel in der internationalen Steuerpolitik

Seit Jahren betreibt die Bundesregierung in der internationalen Steuerpolitik ein doppeltes Spiel: Sie spricht sich für Steuertransparenz aus, blockiert aber in Europa nach Kräften eine Regelung, die Konzerne verpflichten würde, öffentlich zu berichten, in welchen Ländern sie wie viel verdient und welche Steuern sie dort bezahlt haben. So bleibt für die Öffentlichkeit weiter im Dunkeln, ob Unternehmen ihren fairen Anteil zum Gemeinwohl beitragen oder sich darum drücken. Auch erklärt die Bundesregierung regelmäßig, dass die Steuereinnahmen in Entwicklungsländern erhöht werden müssen und spricht sich international für Mindeststeuersätze aus, tut aber wenig dafür, dass deutsche Unternehmen in Entwicklungsländern tatsächlich höhere Steuern zahlen, zum Beispiel durch eine entwicklungsfreundliche Gestaltung von Doppelbesteuerungsabkommen. Auch unterstützt die Bundesregierung die Forderungen der Entwicklungsländer nach gleichberechtigter Teilnahme an den Verhandlungen über eine internationale Steuerreform, beharrt aber zugleich auf der Führungsrolle der Industrieländerorganisation OECD in den Verhandlungen.

Was zu tun ist: Die Bundesregierung muss sich endlich für echte Steuertransparenz einsetzen und sich im Rahmen der G7 für eine wirkliche Gleichberechtigung der Entwicklungsländer in Steuerfragen sowie für angemessene, verbindliche und effektive Steuersätze aussprechen, die weltweit gelten.

3. Warme Worte statt Taten bei der Bildungsförderung

In Sonntagsreden erklärt Entwicklungsminister Müller immer wieder, welche Bedeutung dem Thema Bildung zukommt. Und immerhin hat er angekündigt, 25 Prozent der Mittel des BMZ in diesen Bereich fließen zu lassen. Doch den Worten folgten bislang nur wenig überzeugende Taten. Es fehlt ein konkreter Umsetzungsplan dieses Ziels. Minister Müller hat sich bislang darauf beschränkt, die „Gender at the Centre“-Initiative der G7 einmalig mit 500.000 Euro zu fördern. Zu wenig, um die erklärte Führungsrolle für Geschlechtergerechtigkeit im Bildungsbereich einzunehmen. Deutlich steigern muss der Minister auch die Zuwendungen an die Global Partnership for Education (GPE), die Entwicklungsländer bei Aufbau ihrer Bildungssysteme unterstützt. Von einem fairen Beitrag von 100 Millionen Euro jährlich ist Deutschland mit zuletzt 37 Millionen Euro in 2019 noch weit entfernt.

Was zu tun ist: Im Rahmen der G7 muss Deutschland sich dafür einsetzen, Entwicklungspartnerländer dabei zu unterstützen, gendergerechte öffentliche Bildungssysteme zu finanzieren und so Ungleichheiten bei den Bildungschancen für Mädchen und benachteiligte Gruppen zu überwinden. Die G7 sollten zudem keine gewinnorientierten Bildungsanbieter unterstützen und darauf hinwirken, dass multilaterale Institutionen wie Weltbank und die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) diese ebenfalls nicht finanzieren. Wie ernst ihm das Thema Bildung ist, muss Entwicklungsminister Müller bereits im Herbst unter Beweis stellen: Dann startet die nächste Finanzierungrunde für den „Education Cannot Wait“-Fonds für Bildungsförderung im Kontext humanitärer Krisen. Hier sollte Müller verlässliche mehrjährige Zusagen machen und 50 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stellen.

4. Fehlende Maßnahmen gegen Lohn-Ungerechtigkeit

Im Juli 2019 sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Generalversammlung der Internationalen Arbeitsorganisation, die Wirtschaft müsse den Menschen dienen, nicht die Menschen der Wirtschaft. Hierfür brauchen wir einen grundlegenden Richtungswechsel, der menschliche Bedürfnisse und planetare Grenzen zu den wichtigsten Zielen wirtschaftlichen Handelns macht. Das Mindeste wäre, dass Menschen überall auf der Welt einen Lohn erhalten, der für ein gutes Leben in Würde reicht. Doch während global noch immer Armutslöhne gezahlt werden und die Löhne für untere Einkommensgruppen nicht vom Fleck kommen, wachsen Managergehälter unaufhörlich. So verdiente im Jahr 2017 ein DAX-Vorstandsvorsitzender durchschnittlich das 85-Fache dessen, was ein*e gewöhnliche*r Mitarbeiter*in an Gehalt bezog. Derweil spricht sich die Bundesregierung auf UN-Ebene gegen einen Vertrag aus, der die Staaten dazu verpflichten würde, Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen zu erlassen (UN-Treaty-Prozess). Diese wären dann verantwortlich, dafür zu sorgen, dass Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten eingehalten werden.

Was zu tun ist: Die Beteiligung von Beschäftigten an den Gewinnen aus ihrer Arbeit und ihr Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen müssen ausgebaut werden. Ein erster Schritt für mehr Gerechtigkeit wäre zudem ein echtes Lohntransparenzgesetz, das für alle Betriebsgrößen gilt und das Unternehmen verpflichtet, Benachteiligungen umgehend zu korrigieren, wenn diese offengelegt werden. Der Mindestlohn muss soweit erhöht werden, dass er auch in Ballungszentren existenzsichernd ist. Um global gegen Armutslöhne und moderne Sklaverei vorzugehen, braucht es zudem dringend ein Gesetz, dass deutsche Firmen verpflichtet, ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette einzuhalten. Ebenso muss die Bundesregierung ihren Widerstand gegen den UN-Treaty-Prozess aufgeben.

5. Gebrochene Versprechen im Klimaschutz

2007 beeindruckte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Welt mit der Ankündigung, die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent abzusenken. Zuletzt wiederholte sie dieses Versprechen im Bundestagswahlkampf 2017, obwohl schon seit Jahren die Projektionen der Bundesregierung darauf hinwiesen, dass dieses Ziel krachend verfehlt würde. Auch das 2030er Ziel gilt beim derzeitigen Tempo in der Klimapolitik als unerreichbar. Statt das Pariser Abkommen in Deutschland umzusetzen, bremst die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien, bekämpft in Brüssel wirksame Effizienzstandards für Autos und möchte, dass noch bis 2038 Kohlekraftwerke Treibhausgase in die Luft pumpen. All dies feuert den Klimawandel weiter an, der weltweit Armut und Hunger verschärft.

Was zu tun ist: Ehrgeizige Klimapolitik im Einklang mit dem Pariser Abkommen hieße, das letzte Kohlekraftwerk 2030 abzuschalten und Deutschland bis spätestens 2040 komplett „klimaneutral“ zu machen auf Basis von 100 Prozent erneuerbaren Energien.

6. Ohne Substanz beim Thema Geschlechtergerechtigkeit

Regelmäßig verkündet die Bundesregierung national und international, die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben zu wollen, liefert aber erschreckend wenig, um dieses Ziel zu erreichen. Auch beim Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen schneidet Deutschland nicht gut ab, mit 21 Prozent ist der „Gender Pay Gap“ einer der höchsten unter den Industrieländern.

Was zu tun ist: Die Bundesregierung muss die geschlechtergerechte Aufstellung des Bundeshaushalts umsetzen, das heißt, bei der Haushaltsplanung die Prinzipien des Gender-Mainstreamings beachten. Zudem muss sie die Schließung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen als Querschnittsaufgabe begreifen und mit einer ursachengerechten Strategie vorantreiben. Darüber hinaus muss die Bundesregierung ihren Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nutzen, um dort für eine feministische Außenpolitik einzutreten, d.h. Geschlechtergerechtigkeit auch systematisch in der Außen- und Sicherheitspolitik zu verankern.

7. Leere Versprechen in der Entwicklungszusammenarbeit

Deutschland wird seiner Verantwortung im Kampf gegen die weltweite Armut nicht gerecht und entfernt sich immer weiter von der internationalen Verpflichtung, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) in Entwicklungszusammenarbeit (ODA Official Development Assistance) zu investieren. Laut OECD waren es 2018 lediglich 0,61 Prozent. Die deutsche Quote befindet sich im Sinkflug und nach aktueller Haushaltsplanung bleibt dieser Trend auch im nächsten Jahr bestehen. So aber kann die Bundesregierung Armut und Ungleichheit nicht wirksam bekämpfen. Insgesamt machen die Entwicklungsgelder der G7 Dreiviertel der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit  aus. Doch außer Großbritannien hat kein G7-Land das 0,7 Prozent-Ziel erreicht. Im Gegenteil: Die ODA-Ausgaben der G7 sind im vergangenen Jahr zurückgegangen.

Was zu tun ist: Um die 0,7-Prozent-Marke zu erreichen, muss der jährliche Beitrag Deutschlands deutlich steigen. Die Bundesregierung muss einen Plan vorlegen, wie sie dieses Ziel bis zum Ende der Legislaturperiode erreichen will. Sie muss außerdem die Entwicklungszusammenarbeit stärker als bisher auf die Bekämpfung sozialer Ungleichheit ausrichten, indem sie mehr Mittel für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung bereitstellt. Investitionen in diesem Bereich retten Leben und führen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, doch gerade hier ist die weltweite Finanzierung seit 2010 zurückgegangen.

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