Es ist gute Tradition, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der weltweiten Zivilgesellschaft vor den jährlichen G20-Gipfeln im Rahmen einer mehrtägigen Veranstaltung mit Regierungsrepräsentanten der jeweiligen G20-Präsidentschaft treffen und öffentlich ihre Forderungen erheben. So auch in diesem Jahr auf dem Civil 20 am 18. und 19. Juni in Hamburg: Bevor Anfang Juli Trump, Macron & Co. beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der zwanzig führenden Industrie- und Schwellenländer unter der Ägide der Bundesregierung in der Hansestadt weltpolitische Entscheidungen treffen, erhielt die zivilgesellschaftliche Community unter dem Motto „The World We Want“ die Gelegenheit, Bundeskanzlerin Merkel in einer Diskussionsrunde auf den Zahn zu fühlen. Mit dabei: Winnie Byanyima, Geschäftsführerin von Oxfam International.

Dass sich die Regierungschefin des präsidentschaftsführenden Landes persönlich den Fragen der Zivilgesellschaft stellt, ist zu begrüßen und sollte eigentlich auch für kommende G20-Präsidentschaften eine Selbstverständlichkeit sein. Die Kanzlerin hat auch einige Botschaften, die das NGO-Herz höher schlagen lassen:  Sie betont, wie wichtig die Gestaltungskraft einer starken und freien Zivilgesellschaft für das Wohlergehen von Gesellschaften ist. Die Globalisierung muss menschlich gestaltet werden und darf nicht zu mehr Ungleichheit führen. Und ja, nach dem US-Ausstieg aus dem Klimaabkommen ist gemeinsames Handeln gegen den Klimawandel wichtiger als je zuvor.

Hört sich erstmal gut an. Wie aber schaut’s mit den konkreten politischen Initiativen der Bundesregierung aus? Hier der Oxfam-Realitätscheck für drei zentrale Baustellen der G20-Agenda:

1. Soziale Ungleichheit mit Steuergerechtigkeit bekämpfen!

Dass soziale Ungleichheit eines der größten Probleme unserer Zeit ist, spiegelt sich in der G20-Agenda kaum wider – eine Wunde, in die Winnie Byanyima in Hamburg den Finger legt: Nur acht Menschen besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Diese Ungleichheit ist menschengemacht und kann daher auch durch politische Entscheidungen bekämpft werden. Zum Beispiel mit mehr Steuergerechtigkeit: Arme Länder verlieren durch die Steuervermeidung von Unternehmen jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar an Einnahmen. Diese Mittel fehlen für den Kampf gegen Armut und soziale Ungleichheit. Eine öffentliche Berichterstattung von Konzernen darüber, wieviel Gewinne sie in welchem Land erzielen und wieviel Steuern sie darauf zahlen, wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Steuerfairness. Deutschland aber blockiert vehement eine entsprechende EU-Initiative und ist nicht willens, das Thema auf die G20-Agenda zu bringen. Und auch die Finanztransaktionssteuer, die vor allem über Geld verfügende Zocker treffen würde, wird von der Bundesregierung auf europäischer Ebene kaum vorangetrieben und hat es auch nicht, entgegen ursprünglicher Planungen, auf die G20-Agenda geschafft. Auch beim Thema Steuerwettbewerb klaffen Wort und Tat auseinander. Mit einem sich immer weiter verschärfenden Steuerwettbewerb kann es keine gerechte Globalisierung geben, so Merkel in Hamburg – eine Antwort, wie sie das Thema auf dem G20-Gipfel anpacken will, bleibt sie jedoch schuldig. Oxfam fordert: Der Kampf gegen soziale Ungleichheit und Maßnahmen gegen den ruinösen Wettbewerb um die geringsten Steuersätze müssen auf dem G20-Gipfel zentrale Themen sein. 

2. Klimapolitik: Jetzt das Pariser Abkommen umsetzen!

Nach dem Fußtritt, den der US-Präsident der globalen Klimapolitik verpasst hat, indem er den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen angeordnet hat, ist es nun wichtiger denn je, dass die übrige Welt sich geschlossen hinter das Pariser Abkommen stellt. Dazu sollten die 19 übrigen Länder auf dem G20-Gipfel die USA einerseits weiter isolieren und explizit bekräftigen, dass sie die engagierte Umsetzung des Abkommens vorantreiben werden.

Der G20-Aktionsplan zu Klima und Energie, an dem die G20-Unterhändler derzeit noch arbeiten, wäre dafür ein zentrales Instrument. Es steht zu erwarten, dass die USA auch hier einer der großen Blockierer sein werden, allerdings sind auch unter den übrigen 19 Ländern bei Weitem nicht nur Klimaschutz-Musterschüler. Schwierigkeiten sind etwa von Saudi-Arabien oder Russland zu erwarten. Ob es beispielsweise gelingen wird, für den schon 2009 beschlossenen Abbau der Subventionen für die klimaschädlichen fossilen Energien nun als Enddatum das Jahr 2025 zu setzen, ist fraglich. Mehr Unterstützung genießen die Pläne der Bundesregierung für eine geplante G20-Partnerschaft für Klimarisikoversicherungen, die auch Oxfam sehr sinnvoll findet – wenn sie den Schutz der Ärmsten vor dem Klimawandel im Fokus hat und nicht darauf abzielt, neue Geschäftsfelder für Versicherungskonzerne zu erschließen. Was immer aber am Ende in der G20-Abschlusserklärung steht: Klimaschutz wird immer noch in den Ländern selbst gemacht – und hier steht Deutschland derzeit miserabel da. Das Ziel, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent zu reduzieren, dürfte verfehlt werden, Gegenmaßnahmen sind nicht geplant. Und um den letztlich unvermeidlichen Ausstieg aus der Kohlekraft drückt sich die Bundesregierung herum – anstatt ihn beherzt anzugehen, unter anderem auch, um frühzeitig Zukunftsperspektiven für die betroffenen Braunkohleregionen in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

3. Die Entwicklung Afrikas

Die deutsche G20-Präsidentschaft widmet sich insbesondere der Entwicklung Afrikas. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Auch die Ankündigung Angela Merkels, einige Handelsabkommen mit den Ländern Afrikas neu verhandeln und Ungerechtigkeiten beseitigen zu wollen, geht in die richtige Richtung. Die G20 haben nun unter deutscher Präsidentschaft die sog. Compacts with Africa aus der Taufe gehoben, mit denen Privatinvestitionen in einzelnen afrikanischen Ländern gefördert werden sollen. Was das insbesondere der armen Bevölkerung bringt, ist völlig ungeklärt. Verbindliche soziale und ökologische Standards, an die sich Investoren dann halten müssen, wie z.B. Mindestlöhne in Lieferketten, finden in den Compacts keinerlei Erwähnung – weswegen die Initiative in ihrer derzeitigen Form nicht weiterhilft. Und auch auf nationaler Ebene hat es die Merkel-Regierung versäumt, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in verbindliches nationales Recht zu gießen.

Fazit: Die Bundesregierung will mit ihrer G20-Präsidentschaft Impulse in zentralen Feldern der Weltpolitik setzen. Sie muss dafür aber durch entsprechende Maßnahmen auf nationaler Ebene und die Unterstützung von Initiativen in anderen Foren, wie der EU, eine Vorreiterrolle einnehmen. Die hierfür notwendige Konsequenz fehlt bislang.

G20-Gipfel in Hamburg: Wir gehen auf die Straße!

Vor dem G20-Gipfel protestieren wir gegen soziale Ungleichheit und fordern ein Wirtschaftssystem für alle. Komm mit uns zur G20-Protest-Demo in Hamburg!

Kommentieren

Wir freuen uns über anregende Diskussionen, sachliche Kritik und eine freundliche Interaktion.

Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Auch wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben sollten, äußern Sie bitte dennoch keine Dinge, hinter denen Sie nicht auch mit Ihrem Namen stehen könnten. In den Kommentaren soll jede*r frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechtsradikalen oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten und Randgruppen akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein*e Artikelautor*in oder andere*r Kommentator*in persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden.

Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Spam-Meldungen und werbliche Einträge werden entfernt.

Die Verantwortung für die eingestellten Kommentare sowie mögliche Konsequenzen tragen die Kommentator*innen selbst.