Bereits Anfang 2020 ist in Griechenland ein neues Asylgesetz in Kraft getreten, das im Mai nochmals überarbeitet wurde. Das Gesetz folgt der harten Abschottungslinie, die die konservative Regierung in Athen generell Flüchtenden und Migrant*innen gegenüber an den Tag legt. Entsprechende Kritik kam deswegen schon im Vorfeld der Gesetzgebung von der politischen Opposition, von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen in Griechenland. Der Griechische Flüchtlingsrat (GCR) hat sich in Kooperation mit Oxfam Anfang Juli das Gesetz genauer angesehen. Was genau ist das Problem?

Weniger Schutz für besonders Schutzbedürftige

Eine der Schwierigkeiten besteht darin, dass das Gesetz zwar beansprucht, Regelungen zu bündeln und das Asylverfahren insgesamt effizienter und schneller machen zu wollen. Dabei soll natürlich auch die Zahl der Rückführungen erhöht werden. Bei genauerer Betrachtung bringt das neue Gesetz aber keine Verbesserungen, sondern zusätzliche Restriktionen ins Spiel – die allesamt auf Kosten der Schutzsuchenden gehen. Entweder indem Schutzrechte reduziert oder schon bestehende Pflichten verschärft werden.

Zum Beispiel bei den Regelungen für besonders schutzbedürftige Personen. Während der Flüchtlingskrise wurden 2016 in Griechenland Schnellverfahren eingeführt („fast-track border procedures“), um sogenannte „irreguläre“ Migrant*innen schnell wieder in die Türkei zurückzuschicken. Diese Schnellverfahren waren ursprünglich gedacht als Übergangslösung im Rahmen des EU-Türkei-Deals. Sie wurden dann aber immer wieder verlängert und sind auch heute noch in Kraft.

Kritik kam damals zu Recht, weil das Schnellverfahren keine individuellen Fluchtgründe berücksichtigt. Es handelt sich nicht um ein Verfahren zur Einzelfallprüfung, sondern um eine bloße Zulässigkeitsprüfung: Wer erhält Zugang zum europäischen Asylsystem, und wer wird von vornherein als „nicht schutzbedürftig“ klassifiziert und zurückgeschickt? Der einzige positive Aspekt der Regelung war, dass diejenigen Personen, die als besonders schutzbedürftig eingestuft wurden, nicht in die Türkei abgeschoben werden konnten.

Zur Gruppe der besonders Schutzbedürftigen zählen (laut dem griechischem Asylgesetz von 2016) unbegleitete Minderjährige, schwerbehinderte und alte Menschen, Schwangere sowie Frauen, die kürzlich entbunden haben, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Folter- und Vergewaltigungsopfer, Menschen, die andere Formen schwerer psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlebt haben oder unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Insbesondere die Überlebenden und Angehörigen der Opfer von Schiffskatastrophen sowie Opfer von Menschenhandel.

Jugendliche in Verwaltungshaft

Im neuen Gesetz werden weder Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung erwähnt noch Frauen, die kürzlich entbunden haben. Angehörige der Opfer von Schiffskatastrophen werden noch explizit genannt; nicht mehr aber die Überlebenden selbst. Damit fallen ohne ersichtlichen Grund wesentliche Vulnerabilitätskriterien einfach weg. Ebenso wenig nachvollziehbar ist eine Neuregelung bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit: Auch besonders schutzbedürftige Personen dürfen künftig die sogenannten Hotspots nicht mehr verlassen und sitzen somit auf unabsehbare Zeit auf den Inseln fest.

Ausgeweitet wird in der Neuregelung ebenfalls der Anwendungsbereich der sogenannten Verwaltungshaft („administrative detention“). Künftig haben die Behörden noch mehr Möglichkeiten als bisher, die Bewegungsfreiheit von Schutzsuchenden einzuschränken. Geflüchtete können z.B. sofort bei der Ankunft in Haft genommen werden. Obwohl laut dem europäischen Recht Verwaltungshaft nur in Ausnahmefällen angewandt werden soll, ist jetzt zu befürchten, dass sie in den griechischen Camps künftig häufiger eingesetzt wird. Auch unter der bisherigen Regelung herrschte bei der Verwaltungshaft schon eine gewisse Beliebigkeit, insbesondere bei der Behandlung von Geflüchteten, die aus Ländern stammen, die von den zuständigen Behörden als generell „nicht schutzwürdig“ eingestuft werden, z.B. die Maghreb-Länder.

Besonders bedenklich dabei: Es gibt keine einschränkende Klausel, die Minderjährige von der Verwaltungshaft grundsätzlich ausnimmt. Bereits unter der vorherigen Regelung wurden Minderjährige von der griechischen Polizei und Frontex häufig fälschlicherweise als Erwachsene eingestuft. In Griechenland saßen Mitte Juni 229 Kinder und Jugendliche in Verwaltungshaft. Viele von ihnen in für Minderjährige ungeeigneten Einrichtungen, häufig ohne ausreichendes Betreuungspersonal und medizinische Versorgung.

Verschärfung bestehender Regelungen

Dazu kommt noch, dass das neue Gesetz eine Reihe früherer Regelungen und Vorschriften im Asylgesetz so modifiziert, dass dadurch der Druck auf die Schutzsuchenden erhöht wird. Beispielsweise können Anträge auf Asyl nach neuer Gesetzeslage automatisch für unbegründet erklärt und abgelehnt werden, wenn ein*e Asylbewerber*in „nicht mit den Behörden kooperiert“. Die Schwelle dafür liegt aber ziemlich niedrig: „Nicht-Kooperation“ kann z.B. darin bestehen, eine einzelne Frist oder einen Termin zu versäumen.

Ein weiteres Beispiel: Das neue Gesetz verpflichtet die griechische Asylbehörde, Antragsteller*innen innerhalb eines Tages über Verwaltungsentscheidungen zu informieren. Es besteht aber auch die Möglichkeit, die Information an eine*n Rechtsvertreter*in zu schicken – oder aber an die Leitung des jeweiligen Camps. Verzögerungen sind dadurch vorprogrammiert, mit absehbar drastischen Konsequenzen für die Betroffenen bei zeitkritischen Entscheidungen, in denen sofort Widerspruch eingereicht werden muss.

Widerspruch nur mit Anwältin – aber keine verfügbar

Paradoxerweise haben Asylbewerber*innen, die vor dem 1. Januar 2020 auf die griechischen Inseln gekommen sind, keine Chance, in einer halbwegs vertretbaren Zeitspanne noch einen Termin für eine persönliche Anhörung zu bekommen. Der Bericht nennt das Beispiel eines Asylbewerbers aus Afghanistan, der seit September 2019 in Griechenland auf seine Anhörung wartet und dessen Termin kurzfristig im März 2020 ohne weitere Begründung auf Dezember 2020 verschoben wurde.

Ebenfalls erschwert wird der Rechtsbehelf: Künftig ist es nur noch mit Hilfe einer Rechtsvertretung möglich, Widerspruch gegen einen ergangenen Ablehnungsbescheid einzulegen. Es stehen aber in den Hotspots bei weitem nicht genügend Anwältinnen und Anwälte zur Verfügung. Das ganze System ist überlastet und wird nur durch ehrenamtliche Rechtsanwält*innen halbwegs am Laufen gehalten. Gleichzeitig wurden einige Einspruchsfristen noch einmal verkürzt. Somit können viele Betroffene, die in Europa eigentlich ein Recht darauf hätten, nur noch davon träumen, juristische Unterstützung zu bekommen, wenn sie benötigt wird. Stattdessen können die Betroffenen praktisch sofort in Abschiebehaft genommen werden, sobald ihr Antrag abgelehnt wird.

Griechenland als Blaupause für die Reform des europäischen Asylrechts?

Das neue griechische Asylgesetz und seine Überarbeitung vom Mai diesen Jahres bewegen sich scharf an die Grenze dessen, was im Rahmen des gemeinsamen europäischen Rechts zulässig ist – und an einigen Stellen auch darüber hinaus.

Deswegen ist es umso verblüffender, dass die Grundidee des Hotspot-Ansatzes gerade eine Art Revival auf der europäischen Ebene erlebt: nämlich in Form von Horst Seehofers Vorschlägen bezüglich einer „Vorprüfung“ von Migrant*innen an den EU-Außengrenzen. Die Idee vor fünf Jahren war ja ganz ähnlich: Gemischte Migrations- und Fluchtbewegungen nach Europa dadurch zu steuern, dass man den Schutzbedarf schon bei der Einreise an den Außengrenzen feststellt und dabei zwischen schutzbedürftigen Personen einerseits und „irregulären“ Migrant*innen andererseits unterscheidet.

Stattdessen hat das Hotspot-System einen wesentlichen Beitrag zu der Dauerkrise an den europäischen Außengrenzen geleistet, deren Auswirkungen und Nicht-Funktionieren man nicht nur auf den griechischen Inseln selbst studieren kann: Ende Februar etwa ließ die Regierung an der griechisch-türkischen Grenze Sicherheitskräfte mit Tränengas und Blendgranaten auf Geflüchtete schießen und setzte anschließend das Asylrecht für mehr als einen Monat lang komplett außer Kraft. Laut Presseberichten und Sozialmedien drängt die Küstenwache anscheinend regelmäßig in der östlichen Ägäis Flüchtlingsboote in türkische Gewässer zurück. Und dann ist da noch die Idee mit der schwimmende Barriere, die das Verteidigungsministerium vor der griechischen Küste errichten will, um Migrant*innen abzuhalten. Von nichts weniger als einem „Neustart der europäischen Migrationspolitik“ ist dieser Tage häufig die Rede. Wenn dabei tatsächlich das „griechische Modell“ Pate stehen sollte, dann ist der Neustart schon am Ende, bevor er überhaupt angefangen hat.

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